Heute vor 25 Jahren traf ich mich mit einigen Freunden - wir kannten uns vom Neuen Forum - zu früher Stunde in der Christophorus-Kirche in Berlin-Friedrichshagen. Wir hatten Zeitungen, eine sechs Meter langes, gelbes Stoffband und vier Besenstiele sowie schwarze Farbe dabei.
Wir wollten ein Plakat malen. Mit dem wollten wir zu der Demo gehen, die Berliner Künstler organisiert und zu der sie ein geladen hatten. Uns war noch nicht klar, was wir eigentlich auf das Tuch schreiben sollten. Irgendwie - wie das ablief weiß ich nicht mehr - war schnell klar, das es kein Slogan (damals sagten wir noch Losung) gegen etwas sein sollte. Am Ende stand auf unserem Spruchband "Neue Medien für Neue Foren". Ehrlich, ich finde den Spruch noch heute gut.
Wir (Katrin und Jan, Wolfgang, meine damalige Frau und ich) drängelten uns in die volle S-Bahn und fuhren zum Alexanderplatz. Unsere Stimmung wechselte fast von Schienenstoß zu Schienenstoß von euphorisch zu ängstlich. Ja, die Staatsmacht hatte in Leipzig den Schwanz eingekniffen. Doch wie würde sie reagieren, wenn die Berliner faktisch durch ihre Amtsstuben marschieren? Wie würde die noch nicht entmachtete SED unter Egon Krenz reagieren, wenn der Demonstrationszug am Palast der Republik und am Staatsratsgebäude vorbei demonstrierte?
Ich war demjenigen verdammt dankbar, der den Slogan "Keine Gewalt" unter die Massen gebracht hat.
Dann der Schock am Alexanderplatz. Menschen, überall Menschen. So viele Leute auf einem Platz hatte ich noch nie zuvor - und auch danach - nicht gesehen. Gefühlt waren es mehr als eine Millionen. Ich will mich hier nicht an der Zahlendiskussion beteiligen. Fakt ist, es waren gigantisch viele Menschen, die für eine andere DDR, für das Ende der SED-Herrschaft demonstrieren wollten.
Wir entrollten unser gelbes Spruchband. Tausende ähnliche Transparente und Plakate wurden ausgepackt. Viele sorgten für Lacher. So erinnere ich mich noch an einen Slogan auf einem Plakat einer jungen Frau. Auf dem Stand "Ich bin kein Fan von Egon Krenz". Irgendwo zuvor war mal von offizieller FDJ-Seite zu hören "Wir sind die Fans von Egon Krenz". Das muss man glaube ich wissen, um den Text zu verstehen. Ein anderes Plakat zeigte den frisch gekürten SED-Chef in Sträflingskleidung, ein anderes als den Wolf aus dem Märchen Rotkäppchen. Dazu der Spruch "Egon, warum hast Du so große Zähne" - die hatte er in der Tat. Bejubelt wurde auch die Losung "Stasi in die Produktion".
Von den Stasi-Leuten war zumindest nichts zu sehen. Keine Leute im Präsent20-Anzug, in Nylon-Regenmantel und mit Gelenktäschen - dem "zivilen" Outfit von "Horch-und-Guck". Vereinzelt tauchten Volkspolizisten auf. Die waren aber nicht in Kampfmontur, sondern wie Verkehrspolizisten angezogen. Man forderte sie auf, mitzudemonstrieren, gab ihnen Blumen und bedauerte sie. Ziemlich ratlose und traurige Gestalten. Mir taten sie leid.
Dann ging es los in Richtung Palast der Republik. Das ist dort, wo heute das neue, alte Stadtschloss errichtet wird. Wieder bekam ich Angst. Was, wenn der Demonstrationszug nicht nach links abbiegt, sondern weiter Unter den Linden in Richtung Brandenburger Tor und damit in Richtung Grenze marschiert? Es geschah nichts und Hunderttausende marschierten unter dem Motto "Keine Gewalt" völlig friedlich zum Alexanderplatz.
Und wir? Wir fuhren nach der Demo wieder nachhause. Schon im Zug - wir waren so voll Adrenalin - überlegten wir, was wir nun machen. Wir hatten ja neue Medien für Neue Foren gefordert. Genau hier begann mein Leben als Journalist. Doch davon morgen mehr.
Ich mache mir jetzt mein Frühstück und schwelge noch etwas in Erinnerungen.
Ihnen wünsche ich ein genussvolles Frühstück.
Morgengruß von Helmut Harff: 4. November
Vor 25 Jahren begann eine neue Karriere
Veröffentlicht am: 04.11.2014
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