Morgengruß von Helmut Harff: Ellenbogen vom Tisch

Das mit dem Benimm ist gar nicht so einfach

Es gibt in Deutschland eine Zweiklassengesellschaft. Das kann man immer und überall beobachten. Die einen können es, haben es wahrscheinlich schon in früher Jugend sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen oder es sich eher mühevoll selber beigebracht, die anderen lernten es nie – den richtigen Benimm.

Früher achteten die Erwachsenen, die Eltern, die Lehrer, aber auch die Großeltern darauf, dass man sich richtig benimmt. Was richtig war, war allgemeiner Konsens, wobei je nach sozialem Status dieser ziemlich anders ausfiel. Bei mir war man schon zufrieden, wenn ich richtig mit Messer und Gabel aß, alten Leuten meinen Platz in Bahn und Bus anbot, nicht in der Nase bohrte, am Tisch nicht die Ellenbogen aufstützte und beim Begrüßen einen Diener machte. Der Satz: „Sitz gerade“ klingt mir noch heute in den Ohren.

Wie man Gläser und das Besteck nutzt, wenn davon jede Menge auf den Tisch liegt, wie man Wein einschenkt, wie man Schnecken oder Austern isst, dass Mann aufsteht, wenn eine Frau sich am Tisch erhebt oder wieder setzen will, dass musste ich mir später beibringen.

All das fiel mir wieder ein, als ich im Radio einen Beitrag hörte, in dem es genau um gutes Benehmen ging. Die Reporterin besuchte die Pestalozzi-Realschule in Bochum-Wattenscheid. Dort  bieten ehrenamtliche Coaches der Malteser den Schülern Benimmkurse an. Eine tolle Idee, so mein erster Gedanke. Berichtet wurde von acht Schülerinnen des neunten Jahrgangs, die nun ihrerseits lernen wollen, wie sie selber als Coaches jüngeren Schülern an ihrer Schule gutes Benehmen vermitteln können.

Gutes Benehmen, das ist irgendwie aus der Mode gekommen. Das kann man sogar in teuren Restaurants oder Hotels beobachten. Da macht es wirklich Sinn, den Heranwachsenden das beizubringen, was schon ihren Eltern kaum noch jemand nahe brachte.

Sicherlich kommt man nicht nur mit einer Steinzeitdiät sondern auch mit einem steinzeitlichen Benehmen irgendwie durch das Leben. Doch wer vom Leben etwas erwartet, wer wie es so schön heißt weiter kommen will, wer nicht als Neandertaler angesehen werden will, für den war und ist gutes Benehmen ebenso wichtig wie eine gute Allgemeinbildung. Wobei, eine gute Allgemeinbildung beinhaltet auch das Wissen um das gute Benehmen.

So gesehen ist das Beispiel der Pestalozzi-Realschule in Bochum-Wattenscheid einerseits ein sehr gutes, andererseits  stellen sich bei mir die Nackenhaare auf, dass es überhaupt so ein fakultatives Angebot geben muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass gutes Benehmen zur Ausbildung junger Menschen bereits ab dem Kindergartenalter unbedingt dazu gehören muss. Voraussetzung ist allerdings, dass die Erwachsenen erstens das nötige Wissen zum Thema gutes Benehmen haben und zweitens das auch tagtäglich vorleben. Will man den kleinen und größeren Kindern das beibringen, so muss man schon darauf verzichten, über alles und jedes mit dem Nachwuchs zu diskutieren.

Ich finde, gutes Benehmen ist ein wichtiges Erziehungsziel, wichtiger als so manches Faktenwissen. Wenn man weiß, wie man sich in den unterschiedlichsten Situationen angemessen benimmt, meidet man diese auch nicht allein aus der Angst, in ganz tiefe Fettnäpfchen zu treten. Wer geht schon gern gut essen, wer geht schon gern ins Theater, wer zu einem Bewerbungsgespräch, wenn er vor allem davor Angst hat, sich eben nicht adäquat benehmen zu können.

Zum guten Benimm gehört auch ein schön gedeckter Tisch.  An dem lässt sich jetzt die  Besten Frau der Welt nieder um mit mir zu frühstücken.

Ihnen wünsche ich ein genussvolles Frühstück.

Foto: Pixabay

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