Morgengruß von Helmut Harff: 40 Jahre her

… und doch so topaktuell

Gestern zweifelte ich kurz an meiner Wahrnehmung. Ich sah im ARD-Spartenkanal alpha ein Interview. Joachim „Blacky“ Fuchsberger sprach mit der weltberühmten US-Sängerin Joan Baez. Zuerst bewunderte ich den Talkmaster für seinen gefühlvollen Umgang mit der wohl als schwierig verschrieenen Folksängerin und Bürgerrechtlerin.

Noch beeindruckender war allerdings die Sängerin, die sich nicht nur gegen den Vietnamkrieg engagierte. Da saß eine junge, sehr schlanke Frau mit Kurzhaarfrisur, grüner Bluse, schwarzer Hose und High Heels – also eine Frau von heute. Auch was beide besprachen, war bis auf einige Orte und Namen so aktuell, als ob das ein Life-Interview wäre, geführt am 2. Januar 2020. Doch dem war nicht so, denn die Talkshow "Heut’ abend" gibt es schon lange nicht mehr und „Blacky“ Fuchsberger sitzt irgendwo auf einer Wolke und wird den Kopf schütteln, wenn er auf uns runter blickt.

Ich habe auch immer wieder den Kopf geschüttelt, denn was mir da so verdammt gegenwärtig erschien, war ein Gespräch vom 26.September 1980. Es ging, wie bei Joan Baez nicht anderes zu erwarten, nicht nur um Musik, sondern um Krieg, um Vertreibung, um Flüchtlinge, um Politik und unseren Umgang mit all dem Themen. Und hier musste ich schlucken, denn augenscheinlich hat sich bei diesen Themen auf der Erde in den vergangenen 40 Jahren nicht, aber auch gar nichts getan.

40 Jahre Demos, 40 Jahre Kampf gegen Krieg und Vertreibung, 40 Jahre Flüchtlinge und trotz des offiziellen Endes des kalten Krieges, trotz des Endes des Warschauer Paktes hat sich absolut nichts geändert. Schlimmer kann ein Fazit eigentlich gar nicht ausfallen. Darüber würde ich gern heute einmal mit Joan Baez sprechen. Fröhlich würde das Gespräch sicherlich nicht werden.

Viel schlimmer ist für mich der Gedanke, dass uns genau so eine Nichtentwicklung wieder ins Haus steht. Wie wird in 40 Jahren ein Interview mit Greta auf dann lebende Menschen wirken? Spricht man dann noch immer davon, dass man was gegen den Klimawandel tun muss? Sieht man sich die Interview-Konserve dann beim Badeurlaub zu Weihnachten im Zillertal an – so bei 20 Grad plus?

Ja, ich habe die Befürchtung, das wir auch dieses Mal nichts begreifen, nichts lernen, viel demonstrieren, das viele Leute sich engagieren, das Lieder gesungen und unendlich viel Papier beschrieben, unendlich viele Interviews mit vielen engagierten Menschen geführt werden, um am Ende zu konstatieren: Nichts passiert. Der Meeresspiegel ist gestiegen, wir haben immer noch keine umgesetzte Idee, wie man dem Verkehrskollaps begegnen kann, wir streiten noch immer um den Ausbau der regenerativen Energien und wenige leben noch immer auf  Kosten von vielen. Ob wir dann allerdings noch zu den wenigen gehören?

Auch in 40 Jahren wird jemand frühstücken, der dann auch Stolz auf die beste Frau der Welt an seiner Seite ist. Das sollte sich wirklich nie ändern.

Ich wünsche Ihnen ein genussvolles Frühstück. Wenn Sie sich das Interview mit Joan Baez in der Mediathek ansehen, erwartet Sie noch eine Überraschung. Die Frau, die auch beim Woodstock-Festival auf der Bühne stand, singt einen Song auf deutsch.

Foto: Pixabay

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