Morgengruß von Helmut Harff: Stille

… eine unheimliche Stille

Bisher konnte ich nicht verschlafen, zumindest wenn ich mit offenem Fenster schlief. Warum? Genau vor dem Fenster ist der Parkplatz, auf dem Eltern ihren Kleinwagen oder ihren SUV parkten um das gleiche mit ihrem Nachwuchs im Kindergarten zu machen. Da klapperten Autotüren, da wurde zur Eile gedrängt, da plapperten Kinder und einige weinten auch mal.

Ab 6 Uhr früh ging das los. Später kamen die Kinder, die an der Hand von großen Geschwistern, den Eltern oder Großeltern gebracht wurden. Da musste man schon einen so gesegneten Schlaf haben wie die Beste Frau der Welt. Ich jedenfalls nutzte die Geräuschkulisse dafür, mich spätestens dann in Richtung Rechner zu bewegen – mit Umweg über das Bad.

Und was geschah gestern? Ich hätte fast verschlafen, überlegte ob denn Sonntag sei. Noch merkwürdiger war, dass die Beste Frau der Welt sich im Bett aufsetzte und auch fragte, ob denn heute Sonntag sei. Ich hatte inzwischen aufs Handy geblickt und verneinte. Wir fragten uns, was uns so komisch vorkam. Die Antwort war ganz einfach: Es war kein Auto auf dem Parkplatz, kein Kind wurde in den Kindergarten gebracht, denn der bleibt ja für die nächsten Wochen geschlossen. „Unser“ Kindergarten gehört augenscheinlich auch nicht zu denen, in der eine wie auch immer geartete Notbetreuung von Kindern angeboten wird, deren Eltern als „unabkömmlich“ eingestuft werden.

Wir fragten uns dann, was mit all den Kindern passiert, die uns sonst weckten und über deren „Krach“ sich so gern einige Nachbarn beschwerten. Die Antwort erhielten wir schon bei unserem Morgenspaziergang. Viele Kinder haben sich auf dem Spielplatz eingefunden, toben, klettern und sind ausgelassen. Und wer beaufsichtigt den Nachwuchs? Es sind nicht wie sonst die Großeltern, es sind so viele Väter, wie ich sie noch nie auf einem Spielplatz gesehen habe. Und noch eines ist erstaunlich: Niemand schimpft aus den Fenstern über die lautstarken Rabauken, die sich wie eh und je um jede Puppe, um jedes Auto streiten. Ganz im Gegenteil. Da kommt doch ein bisher nicht gerade als angenehm aufgefallener Zeitgenosse mit einer Thermoskanne voller Kakao und einigen Bechern auf den Spielplatz. Die Kleinen bedanken sich brav und ein Mädchen macht sogar einen Knicks.

Da kommt bei mir die Frage auf, was die angeordneten Einschränkungen mit uns, mit unserem Zusammenleben, mit unserer Gesellschaft machen. Werden wir nach dem Panikende wieder zur Tagesordnung, zu unserem „normalen“ Leben zurück kehren? Werden wir uns in irgendeiner Form ändern? Werden wir bewusster leben? Werden wir unser Leben anders organisieren? Werden wir das Leben anders, intensiver genießen, als wir es noch vor einigen Tagen taten?

Ich bin da sehr gespannt, allerdings nicht wirklich optimistisch. Schließlich sind wir Menschen vor allem eines – Gewohnheitstiere.

Das sieht man auch am Frühstück von der Besten Frau der Welt und mir.

Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall ein genussvolles Frühstück.

Foto: Pixabay

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