Was bringen die digitalen Rückspiegel?

Axel F. Busse, Auto-Medienportal.Net, testet die am Lexus ES 300h



Die Idee ist so simpel wie einleuchtend: An die Stelle der herkömmlichen Gehäuse für Außenspiegel treten Videokameras, die ihr Bild auf Monitore im Innern des Fahrzeugs übertragen.


Mit variabler Optik ausgestattet, können sie ein größeres Blickfeld und veränderliche Winkel erfassen, was mit einer fest montierten Reflexionsfläche nicht der Fall ist. Während traditionelle Spiegel durchaus 200 Quadratzentimeter und größer sein können, benötigt die Kameralinse nur einen schmalen Ausleger zur Befestigung an der Karosserie. Verbesserte Aerodynamik und geringere Windgeräusche bei hohem Tempo sind dabei willkommene Nebeneffekte.

Japanische Kunden waren im Oktober 2018 die Ersten, die bei Lexus von dieser Technik profitieren konnten. Jetzt ist sie als Option auch in Deutschland beim Modell ES 300h zu bekommen. Allerdings sind die „magischen Augen“ nur für die gehobene Ausstattungsvariante „Luxury Line“ erhältlich und auch dann nicht ganz billig: Lexus berechnet einen Aufpreis von 2000 Euro. Nur eine ausgedehnte Probefahrt kann klären, ob man diese Ausgabe für gerechtfertigt hält.

Gute Abbildungsqualität


So, wie man sich zum Beispiel bei Elektroautos an ein verändertes Beschleunigungs- und Bremsverhalten gewöhnen muss, so ist auch bei der Nutzung von digitalen Kamera-Spiegeln das Einlassen auf Ungewohntes erforderlich. Dort, wo der Blick von Fahrerin oder Fahrer die Abbildung des nachfolgenden oder seitlich herannahenden Verkehrs sucht, ist das Geschehen nicht zu finden. Da sich die Monitore im Innern der Kabine befinden, sind sie idealer Weise nahe am Fuß der A-Säule angebracht. Nicht bei allen derzeit auf dem deutschen Markt befindlichen Systemen ist dies der Fall. Lexus hat die Aufgabe zufriedenstellend gelöst und die beiden knapp 110 x 67 Millimeter (5 Zoll) großen Bildschirme an den äußersten Enden des Armaturenbretts so platziert, dass der rechte Monitor ein wenig stärker zum Fahrersitz hin geneigt ist.

Die Abbildungsqualität ist gut und kontrastreich, beim Setzen des Blinkers sowie beim Einlegen des Rückwärtsgangs schaltet die Kamera automatisch auf Weitwinkelansicht um. Dies ist auch deaktivierbar, ebenso wie die Weitwinkelanzeige manuell angewählt werden kann. Variable Hilfslinien erleichtern das Abschätzen von Entfernungen, sie markieren einen Abstand von fünf, zehn und 15 Metern – bei Autobahnfahrten zusätzlich noch 30 Meter. Ein Totwinkelassistent ist integriert, der Heizmodus verhindert das Vereisen der Linse und im Gegensatz zu herkömmlichen Spiegeln wird sie nicht so leicht durch Spritzwasser oder Regentropen verschmutzt.

Fingerübungen am Navi-System


In Limousinen der gehobenen Mittel- und Oberklasse verwenden die Ingenieure viel Denkarbeit auf die Vervollkommnung des Komforts. So ist es zum Beispiel eine gute Idee, die elektrische Heckscheiben-Jalousie automatisch zu öffnen, wenn der Rückwärtsgang eingelegt wird. Bequemlichkeitsmerkmale sind auch das automatische Zurückfahren von Sitz und Lenkrad für leichteren Ein- und Ausstieg sowie ein großer Öffnungswinkel der Tür. Nur ist leider, wenn man erst einmal Platz genommen hat, kein Arm lang genug, um die Tür anstrengungsfrei heranzuziehen.

Leider kein Ruhmesblatt ist die Bedienbarkeit des Infotainment-Systems durch das Touchpad auf der Mittelkonsole. Es verlangt Training und Fingerspitzengefühl, mit dem Cursor die gewünschte Funktion auf dem Bildschirm zu treffen. Wahrscheinlich hat man auch schon im Toyota-Konzern gemerkt, dass mit diesem Konzept keine Kunden von anderen Premium-Marken wegzulocken sind, denn neuere Fahrzeug-Modelle verfügen bereits über einen Touchscreen am Hauptmonitor.

Kritikwürdig an der Kartendarstellung im ES 300h erschien auch das Fehlen einzelner Gewässer oder Wege, ganz unabhängig vom gewählten Maßstab. Als vorbildlich präzise erwies sich Tempoangabe im Zentral-Display. Bei Tacho 190 km/h betrug die GPS-gemessene tatsächliche Geschwindigkeit 187 km/h. Und das, obwohl der Hersteller nur 180 km/h als Höchstgeschwindigkeit angibt. Da Deutschland der einzige Markt ohne Tempolimit ist, gibt Lexus – ganz anders als Volvo mit seinem Hinweis auf einen angeblichen Sicherheitsgewinn zu, der technische Aufwand, die Autos schneller zu machen, sei nicht gerechtfertigt.

Harmonische Teamarbeit

Der Sitzkomfort ist hochklassig, es gibt reichlich Bein- und Kopffreiheit, die Kabinenbreite für die Passagiere beträgt vorn 1,45 Meter, hinten immerhin noch 1,38 Meter. In der gefahrenen Luxury-Line-Version sind viele Annehmlichkeiten inklusive: Diebstahlwarnanlage, Park-Assistent mit Querverkehrs-Warnung und Fußgänger-Erkennung, adaptiver Tempomat, Komforteinstieg, Lenkradheizung, Navigationssystem, Totwinkel- und Spurhalte-Assistent, Matrix-LED-Scheinwerfer, elektrisches Glas-Schiebe-Hubdach, 360-Grad-Kamera, Sitzheizung für Vorder- und Rücksitze, Sitzbelüftung vorn sowie separate Klima-Steuerung für die Rücksitze. Für ein Head-Up-Display werden 1500 Euro Aufpreis fällig.

Das Antriebs-Team aus 178 PS (131 kW) starkem Vierzylinder-Verbrenner und 120 PS (88 kW) starkem Elektromotor spielt harmonisch zusammen. Gemeinsam bringen sie es auf 218 PS (160 kW) Systemleistung, was durchaus als hinreichend bezeichnet werden kann. Nur das Drehmoment fällt mit 221 Newtonmetern etwas bescheiden aus. Außerdem liegt es erst bei 3600 Umdrehungen an, weshalb der ES 300h den herzhaften Antritt anderen überlassen muss. Dank der guten Dämmung kommt von dem etwas angestrengt klingenden Brummen bei höheren Drehzahlen kaum etwas bei den Insassen an. Dass mit 4,5 Litern Benzin, so wie es das Datenblatt vermittelt, nicht auszukommen sein würde, war zu erwarten. Die im Test erzielten 6,8 Liter sind jedoch für einen Komfort-Viertürer dieses Kalibers respektabel.

Fazit: Komfortabler Transport und edle Ausstattung machen den Lexus ES 300h zu einer ansprechenden Alternative. Die überschaubaren Stückzahlen der Marke in Deutschland bringen gemeinsam mit den digitalen Spiegeln mehr als einen Hauch Exklusivität. So innovativ der Ersatz herkömmlicher Spiegel durch Kameras und Monitore aber manchem auch erscheinen mag, im Grunde ist die Idee fast ein Vierteljahrhundert alt: Das Konzeptfahrzeug F200 von Mercedes überraschte auf dem Pariser Autosalon 1996 bereits mit dieser Technik. Doch auch der Lexus ES gibt sich an einer Stelle ganz traditionsbewusst – mit den Schminkspiegeln in der Sonnenblende.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Axel F. Busse

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