IAA-Premiere in München

Die Latte liegt hoch

Wenn die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) im September kommenden Jahres zum ersten Mal in ihrer 123-jährigen Geschichte in der bayerischen Landeshauptstadt ihre Tore öffnet, soll „die Welt wahrnehmen, dass neue Mobilitätskonzepte zuerst in München gezeigt werden.“ Da haben sich der Freistaat Bayern und die Stadt viel vorgenommen. Aktuell leidet die Isar-Metropole – wie andere große Städte auch – vor allem unter Staus und dicker Luft.

Was macht der Münchner im Himmel? Er frohlockt. Gelegentlich soll er dort sogar Hosianna singen. Frohlockt haben Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Clemens Baumgärtner (CSU), Referent für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt, bereits bei der offiziellen Bekanntgabe, dass der Verband der Automobilindustrie (VDA) München gegen starke Konkurrenz als neue IAA-Stadt auserkoren hat. Wahrscheinlich haben sich die Drei wie im siebten Himmel gefühlt.

Große Worte haben sie bei dieser Gelegenheit gesprochen. Zum Beispiel: „Mit der IAA wollen wir die Verkehrskonzepte der Zukunft anstoßen und Visionen für die Stadt als intelligent verwalteter Ballungsraum entwerfen.“ (Markus Söder). „Das Thema Mobilität ist eine der großen Herausforderungen von Städten. Dabei wird es nicht nur um das Auto gehen. Urbane Mobilität muss neu und in größeren Zusammenhängen gedacht werden.“ (Dieter Reiter) „Als bedeutender Automotive-Standort und als innovative Smart City wird München von der IAA profitieren.“ (Clemens Baumgärtner). Das war fast wie Hosianna singen.

2021 und 2023 wird die IAA in München stattfinden. Für das Jahr 2025 sieht der Vertrag zwischen VDA und Messe München eine Option vor. An der Isar soll die Ausstellung nach den Worten von VDA-Präsidentin Hildegard Müller nach vielen Jahren in Frankfurt einen grundlegenden Neustart erleben. Neben der Präsentation großartiger Automobile und neuester intelligenter Mobilitätslösungen werde sie auch zu einem Forum, auf dem über die Zukunft der Mobilität debattiert wird.

Zu wenig Parkraum und zu viele Staus

Diese Debatte hat in München – ebenso wie anderswo – längst begonnen. 1,6 Millionen Menschen leben in der bayerischen Landeshauptstadt. Tendenz steigend. Parkraumnot oder Staus in Einkaufsstraßen und auf Pendlerstrecken sind auch in der Isar-Metropole an der Tagesordnung. In kaum einer anderen Stadt sind so viele Pkw zugelassen wie in München. Statistisch entfallen auf 1000 Einwohner rund 500 Pkw. Der Pkw-Bestand ist zwischen 2009 und 2020 um 21 Prozent angewachsen. Bei der SUV-Dichte rangiert München nach Düsseldorf auf Platz zwei.

Nicht nur auf der Maximilianstraße stellen verzweifelte oder besonders selbstbewusste Autofahrer ihre Pkw auch schon einmal in der zweiten Reihe ab. Vielerorts sind die Emissionswerte zu hoch. Im Dezember 2019 hat der Stadtrat für München den Klimanotstand ausgerufen. Ein Fünftel aller CO2-Emissionen entfällt auf den Verkehr. Nach einer Studie des Verkehrsinformationsdienstes Inrix stehen die Münchner rund 87 Stunden pro Jahr im Stau – doppelt so lange wie Autofahrer im Bundesdurchschnitt.

Andere Quellen geben sogar 113 Stunden an. Dabei hat München ein gut ausgebautes und funktionierendes U- und S-Bahn-Netz. Laut Inrix sind in München durch den von Staus verursachten Zeitverlust im vergangenen Jahr Kosten in Höhe von 774 Euro pro Autofahrer angefallen. In diesem Sommer könnte es mit den Verkehrsbehinderungen besonders schlimm werden, weil es in der Stadt über 40 Baustellen von kleinen Sanierungen bis zu Mammutprojekten gibt.

Ziel: 80 Prozent emissionsfreie Fahrten


Rund 400.000 Berufstätige pendeln täglich in die Stadt. Knapp die Hälfte nutzt das Auto. Bis 2025 will man den Anteil der emissionsfreien Fahrten (Fuß, Rad, ÖPNV, E-Mobilität) am Modal Split auf 80 Prozent erhöhen. Zurzeit liegt er bei rund 60 Prozent. „Die IAA 2021 wird den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit breiten Raum einräumen: mit sauberen, sparsamen Antrieben und Automobilen der neuesten Generation, mit einem umfassenden Mobilitätsmix einschließlich Pkw, E-Bikes, E-Scootern und der Einbindung des ÖPNV“, verspricht die VDA-Präsidentin.

E-Mobility und ÖPNV eng vernetzt

Die Verkehrsexperten im Münchner Rathaus sind seit langem bemüht, den Bürgern für die innerstädtische Mobilität Alternativen zum Auto schmackhaft zu machen. Zu den Projekten zählen der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, virtuell gesteuerte Ausleihmöglichkeiten von Autos, Rädern und Transportbikes oder neue Trassen für Radfahrer. An bislang acht Mobilitätsstationen können Bürger ganz im Sinne von VDA-Präsidentin Müller vom ÖPNV auf E-Carsharing-Fahrzeuge, E-Räder und lastenfähige E-Trikes umsteigen. Zwei Stationen verfügen sogar über Quartierboxen mit Kühl-, Tiefkühl- und Raumtemperaturfächern, in denen Händler von ihren Kunden bestellte Ware deponieren können. Die Boxen sind rund um die Uhr „geöffnet“.

Parallel dazu baut München seine Elektrobusflotte und das Netz der Ladestationen für E-Autos und Pedelecs aus. Per App können Tiefgaragenplätze reserviert werden. Selbstverständlich gibt es auch in der Isar-Metropole Carsharing-Angebote. Im neuen Innovations- und Gründerzentrum Munich Urban Colab (MUC) werden Startups, Corporate Investors, Wissenschaftler und Kreative ab kommendem Jahr an „lebenswerten, zukunftssicheren und effizienten Lösungen für die Stadt von morgen“ arbeiten. MUC ist ein Gemeinschaftsprojekt der Landeshauptstadt München und der „UnternehmerTUM gGmbH“ (UTUM), Europas erfolgreichstem Accelerator für technologieorienterte Gründungen.

Gute Basis für Smart-City-Projekte

Als Leuchtturmstadt der EU arbeitet München gemeinsam mit 39 anderen Kommunen in Europa an dem Ausbau ihres digitalen Netzwerks und an Strategien gegen Staus und für die Bereitstellung von E-Autos. Dabei profitieren die Bayern von ihrer engen Verzahnung mit Lehre, Forschung und Wirtschaft. „Dank der wirtschaftlichen Situation und der lokalen Expertise in wirtschaftlichen wie wissenschaftlichen Fragestellungen besitzt die Stadt eine gute Basis für Smart-City-Projekte“, stellt Oliver Gassmann, Professor für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen, fest.

Bei allen Maßnahmen geht es den Verantwortlichen darum, die Lebensqualität der Menschen in der Stadt zu verbessern. „Das Ziel einer mobilen, lebenswerten, flächen- und ressourcenschonenden Stadtgesellschaft im Gleichgewicht muss durch eine Vielzahl verschiedener Bausteine aus den Bereichen Mobilität und Stadtplanung erreicht werden. Ein leistungsfähiger und attraktiver ÖPNV bildet das Rückgrat aller urbanen Lösungen,“ heißt es dazu aus dem Rathaus.

Hohe Parkgebühren und kurze Ampelschaltungen

Weil dieses Ziel jedoch noch nicht erreicht ist, greifen die Verantwortlichen auch schon einmal zu Autovertreibungsmitteln wie hohe Parkgebühren oder Ampeln, die so geschaltet sind, dass sie den Verkehrsfluss provokant unterbrechen. Auch auf der Prinzregentenstraße sind die Ampelschaltungen verkürzt worden – in diesem Fall wegen schlechter Luft. Dadurch soll der tägliche Verkehr zunächst um sieben Prozent und falls nötig um 15 Prozent gesenkt werden. Die Stadt warnte deswegen vor erheblichen Staus im Berufsverkehr vor allem auf der A 94 und forderte die Pendler auf, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
Zu Beginn des kommenden Jahres will München das Thema Mobilität in einem neuen Referat bündeln. Noch ist es auf verschiedene Ressorts verteilt. Damit wird die Millionen-City Markus Söders Vorstellung von Stadt als intelligent verwalteter Ballungsraum sicherlich einen wichtigen Schritt näherkommen.

Erstrebenswert: autofreie Stadt

BMW-Chef Oliver Zipse befürwortet nicht nur weniger Verkehr in den Zentren großer Städte, er findet sogar die Idee einer autofreien Innenstadt erstrebenswert. Mit einer entsprechenden Äußerung gegenüber der Süddeutschen Zeitung sorgte der Vorstandsvorsitzende für Aufsehen. „Wieso muss jemand, der nur einkaufen geht, mit dem eigenen Auto reinfahren. Das ist kein Gewinn“, sagte er. Privat fahre er in München nach Möglichkeit mit der U-Bahn. Eine Innenstadt ohne motorisierten Individualverkehr ist nach Überzeugung von BMW eine Frage der intelligenten Stadtplanung. „Heute verfügen wir mit der Digitalisierung über sehr viel modernere Instrumente als ein pauschales Einfahrverbot. Man kann die unterschiedlichen Mobilitätsformen so vernetzen, dass jede ihre Stärken ausspielt“, so der Automobilhersteller.

Kritik übte Zipse in diesem Zusammenhang an der Planungskompetenz der Stadt München. So bekomme man die öffentliche Verwaltung nicht dazu, die Daten preiszugeben, die man für eine intelligente und vernetzte Verkehrsplanung braucht. „Es gibt Städte, da geht das hervorragend. In München geht es leider noch nicht“, rügt der Manager.

BMW-Erweiterung und eigenes Verkehrskonzept

Vielleicht hat BMW auch deshalb ein eigenes Verkehrskonzept für die Anbindung an die großflächige Erweiterung seines Forschungs- und Innovationszentrums (FIZ) im Münchner Norden erarbeitet. 15.000 neue Arbeitsplätze werden dort entstehen. Mit Jobtickets für den ÖPNV, Lease-Rädern, der Finanzierung von Fahrrädern/E-Bikes per Entgeltumwandlung, einer eigenen S-Bahn-Station in unmittelbarer Nähe des FIZ, an dessen Bau sich der Münchner Automobilhersteller mit einem einstelligen Millionenbetrag beteiligt, Vorrangspuren für Busse oder dem Ausbau des Werksbusnetzes will das Unternehmen seinen Beschäftigten eine Alternative zum Auto bieten.

Dass es ganz ohne Auto nicht geht, weiß man bei BMW allerdings auch. Deshalb sieht das Verkehrskonzept einen Autobahnanschluss an die A 99 vor. Mit 12.000 Plätzen am FIZ hält BMW den Parkraumbedarf für „momentan“ abgedeckt. Bis 2021 sollen an allen Unternehmensstandorten über 4000 Ladestationen für E-Autos entstehen, von denen die Hälfte auch öffentlich genutzt werden kann.

Hoffnungsträger autonome Autos

Eine Vision, in die die Automobilindustrie große Hoffnungen setzt, dem innerstädtischen Verkehrschaos zu begegnen: autonom fahrende E-Autos, an deren Entwicklung sie mit Macht arbeitet. Die Perspektiven sind vielversprechend. Level 5-Autos wissen, wo der nächste freie Parkplatz ist und steuern ihn selbstständig an. Nervtötendes Imkreisfahren erübrigt sich. Digital Vehicles meiden Staus, wenn es die überhaupt noch gibt. „Mit diesen Fahrzeugen werden wir den knappen Raum in unseren Städten viel besser nutzen können als bisher“, heißt es beim VDA. Doch zunächst einmal haben BMW und Daimler ihre Kooperation beim autonomen Fahren aufgekündigt.

Vielleicht ist von all dem schon etwas zu sehen, wenn die IAA vom 7. bis 12. September 2021 ihre München-Premiere feiert und die Besucher laut Veranstalter VDA „nicht nur in den Messehallen, sondern auch auf den Plätzen der Innenstadt und den großen Verkehrsachsen erleben können, wie an der Mobilität der Zukunft gearbeitet wird".

Foto: Auto-Medienportal.Net - München/Michael Hoffmann

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