Knapp an der Platzreife vorbei

Der Tesla Model 3 Dual Motor lockt mit ungewöhnlichem

(Dennis Gauert, Auto-Medienportal.Net) Zugegeben, das Elektroauto liegt auch bei uns in einer Schublade, die man nicht gern öffnet. Nach über einem Jahrhundert mit brüllenden Otto- und klackernden Diesel-Motoren will man sich an die neue Ruhe nicht gern gewöhnen.

Um eine Automobilredaktion mit einem Elektroauto richtig aus der Reserve zu locken, muss also schier Unglaubliches geboten werden. Da kommt ein starker Tesla Model 3 Long Range Performance gerade recht, um sich kurz von alt hergebrachten Werten für eine zügige Fahrt zu verabschieden.

Das Model 3 hatte einen schweren Start. Immer wieder wurden Verzögerungen teils über Tesla selbst, teils erst über die externe Medienberichterstattung kommuniziert. Doch nun bietet nach Model S und Model X ein Musk-Produkt realistische Anreize für den gehobenen Mittelstand, sich ein Elektroauto zu Gemüte zu führen. Das Model 3 ist für Automobiljournalisten hingegen ein Buch mit sieben Siegeln. Das liegt weniger am Fahrzeug an sich, denn an der nahezu nicht vorhandenen Pressearbeit des Herstellers.

Daten? Nein, Danke!


Für technische Daten bedient sich der geneigte Automobilredakteur also bei den Marktbegleitern aus Print und Online oder muss gar auf Wikipedia zurückgreifen. Unsere Recherche ergibt, dass in unserem Testwagen eine permanent erregte Synchronmaschine und eine Drehstrom-Asynchronmaschine zusammen 510 PS leisten. Bestückt mit einem 75-kWh-Akku ist eine Reichweite von etwa 560 Kilometern möglich. Auch der Preis von 60.000 Euro erscheint plausibel – so er denn wirklich stimmt.

Reibungsloses Design


Das Design des Model 3 stammt sichtlich aus der Abteilung Biedermann. Von vorn sieht er aus manchen Winkeln aus wie ein geschrumpfter Porsche Panamera, hinten kommt man um Assoziationen zu Ford und Jaguar nicht herum. Dafür reibt sich der Tesla aber auch nicht am Publikum. Man kann ihn optisch einfach akzeptieren, ohne gleich eine Glaubensfrage davon zu machen. Ähnliches gilt für den Innenraum, der eine neue Identitätslosigkeit in die Automobilwelt verfrachtet: Keine Knöpfe, keine Schalter, keine Lüftungsdüsen – hier geht es nur um zwei Dinge: Das Lenkrad und einen gigantischen Monitor, der die Steuerung des Fahrzeugs im Stil des Apple iPhone ermöglicht.

Digital statt Mechanisch

Diese neue Nacktheit ist ungewohnt, sodass man sich immer wieder dabei ertappt, in die Mittelkonsole zu greifen, um etwa den Wählhebel zu betätigen. Der sitzt jedoch im amerikanischen Stil als Lenkstockschalter direkt hinter dem Volant. Durch das Bedienkonzept geht im Tesla der typische Maschinencharakter eines Automobils verloren, stattdessen kommen digital kommandierte Funktionen hinzu, die in der Tiefe schon erstaunlich für ein Auto in dieser Preisklasse sind. Von der Klimaanlage über den Antriebsstrang bis hin zur animierten Verkehrssituation wird alles auf einem Monitor dargestellt. Vom mehrfach medial angeprangerten Auto-Piloten haben wir die Finger gelassen.

Innen bequem mit Schwächen

Die Passagiere nehmen in Sitzen Platz, die man so in Europa nicht mehr kennt. Sie sind bequem, bieten guten Seitenhalt und wirken sogar entspannend auf längeren Fahrten. Trotz der geringen Verstellmöglichkeiten möchte man sie gegen manchen voll verstellbaren Komfortsitz aus der deutschen Luxusklasse eintauschen. Die Verarbeitung ist freilich nicht auf Daimler- oder Audi-Niveau. Wenn man bedenkt, was die Fahrleistungen des Tesla bei anderen Herstellern aus einem Benzinmotor gekostet hätten, darf man den Innenraum teilweise als kostenlose Dreingabe betrachten. Das gilt auch für das serienmäßige Panoramaglasdach, das sich von der A- bis zur C-Säule erstreckt.

Raketenstart mit Elon Musk

Die Fahrleistungen hingegen sind überwältigend: In 3,4 Sekunden geht es auf Tempo 100, knapp zwölf Sekunden vergehen bis eine Viertelmeile im Tesla geschafft ist. Mit dieser Kraft unter den Polstern kann man einen Audi R8 im Zwischenspurt vorführen. Denn die Elastizität ist durch das jederzeit voll zur Verfügung stehende Drehmoment mit einem Benziner unvergleichbar. Hart ausgedrückt wirken andere Fahrzeuge im Verkehr wie müde Senioren.

Gerade deshalb zieht der Tesla wohl lautlos und ohne großes Aufhebens vorbei und verhindert sogar Stress bei anderen Verkehrsteilnehmern: Präsentiert ein BMW M5 den gleichen Überholvorgang, sind Lichthupen von den Hintermännern garantiert. Daraus gewinnen wir zwei neue Weisheiten: Was nicht brüllt, provoziert nicht; und: Ohne Klischees kann es kein Feindbild geben.

Solides Fahrwerk, schwache Reifen

So gleitet der Tesla meist dezent und unbeachtet seiner Wege. Innen herrscht auch bei höheren Geschwindigkeiten noch Ruhe, das Fahrwerk tut sein Übriges um den starken Elektriker entspannt in der Spur zu halten. Grenzen setzen den 660 Newtonmetern Drehmoment nur die Eco-Reifen, deren Seitenführungskräfte mit dem ausgeglichenen Allradantrieb nicht Schritt halten können. Von sportlichem Fahren kann nicht wirklich die Rede sein, die Kurvendynamik erreicht aber das Niveau eines üblichen Fahrzeugs dieser Klasse und bietet einen noch tieferen Schwerpunkt.

Bei der Verarbeitung gepennt


Anders zeigt sich die Verarbeitung: Mit ungleichmäßigen Spaltmaßen, schwacher Versiegelung an umgelegten Blechkanten und durchschnittlichem Material im Innenraum kann das Model 3 mit europäischen Fabrikaten nicht Schritt halten. Das Kofferraumvolumen von 450 Litern geht aber in der Klasse absolut in Ordnung, dazu sind die Rücksitze noch leicht umklappbar und unter der Motorhaube findet sich auch noch etwas Stauraum. Die Alltagstauglichkeit ist also gegeben, nur bei der Haltbarkeit über die typische Laufzeit von zwölf Jahren sind wir skeptisch.

Besser nicht in die Eisen gehen

Ein weiterer Schwachpunkt sind die Bremsen. Dadurch, dass sie im Prinzip nur bei einer Gefahrenbremsung zum Einsatz kommen, sind sie eiskalt wenn man sie braucht. So geht viel Bremswirkung verloren, die bei einem normalen Verbrenner allein durch die höheren Temperaturen gegeben wäre. Geachtet der enormen Leistung und des Gewichts von 1847 Kilogramm hätte man hier mehr erwartet. Im normalen Alltagsbetrieb überzeugt eher die „Gangbremse“, die den Tesla unmittelbar verzögert, sobald man vom Gas geht. Das erfordert eine kurze Gewöhnung, gelingt dann aber kinderleicht.

Spaß statt Umweltschutz

Die Reichweite von über 500 Kilometern reduziert sich – wie bei jedem Elektroauto – je nach Nutzungsprofil. Bei beherzter Fahrt wird sie etwa halbiert, im urbanen Raum liegt die angegebene Reichweite im Bereich des Möglichen. Dann sollten aber alle elektrischen Verbraucher, wie etwa die per App dauerhaft erregbare Klimaanlage, ausgeschaltet sein. Mit einem Verbrauch von 16 kWh auf 100 Kilometer rangiert der Tesla ohnehin am oberen Ende der E-Auto-Skala. Das dürfte aber jedem Käufer bewusst sein. Schließlich geht es bei diesem Stromer vordergründig um den Fahrspaß durch die wahnwitzige Beschleunigung. Kommuniziert wird das vom Tesla-Chef meist ganz anders.

Fazit: Das Tesla Model 3 ist ein spannender Neuzugang, der umso besser hätte sein können, wenn man sich bei der Produktion mehr an den Asiaten und Europäern orientiert hätte. Zwar gefallen der monströs anschiebende Dual-Motor, die typisch-amerikanischen Sitze und das ausgewogene Fahrwerk; die Verarbeitung jedoch sehen wir kritisch. Ganz zu schweigen von dem Öko-Image, das Tesla einem Auto aufdrückt, das genau wie ein Sportwagen teuer in der Anschaffung und dazu enorm durstig ist. Und ein kleiner Tipp am Rande: Mit Skin-Paketen für den zentralen Bildschirm ließe sich der Kleine aus Silicon Valley sicher mit mehr Markenidentität aufladen.

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