Der Trauer Raumgeben – gerade an den Feiertagen

Gedanken anlässlich Weihnachten und Jahreswechsel 2020

Jahr um Jahr erleben die allermeisten von uns die Weihnachtstage als wohltuende Unterbrechung unseres Alltags.

Kurz vor dem Jahresende kommen wir zur Ruhe, nehmen uns mehr Zeit für Familie und Freunde, gönnen uns eine gedankliche Auszeit von den vielen Fragen, die im Privat- und im Berufsleben unsere Aufmerksamkeit fordern. Dieses Jahr ist alles anders. Dieses Jahr feiern wir ein Weihnachtsfest im Lockdown, auch wenn die Kontaktbeschränkungen an den Feiertagen selbst gelockert sein werden.

Für Trauernde sind die Weihnachtstage seit jeher eine Herausforderung. Wer den Verlust eines geliebten Menschen verarbeitet, der fühlt sich im üblichen Weihnachtsrummel und angesichts der allgemeinen Vorfreude oft fehl am Platz. Insbesondere das erste Weihnachtsfest ohne einen nahen, vielleicht ohne den nächsten Menschen, ist für viele Trauernde eine emotionale Belastung. Jede und jeder geht anders damit um: Mancher sucht vielleicht gerade in diesen Tagen den Anschluss an die Familie und möchte die Feiertage in Gesellschaft verbringen; mancher ist lieber alleine mit sich, seinen Gedanken und Erinnerungen.

In diesem Jahr werden viele Trauernde während der Feiertage von besonders schmerzlichen Gedanken begleitet sein. Während des ersten Lockdown im Frühjahr und seit der Wiederverschärfung der Kontaktbeschränkungen im Oktober konnten Abschiede vielfach nicht so sein, wie sie hätten sein sollen. Sterbende konnten im Krankenhaus, Hospiz oder Pflegeheim nicht von ihren Angehörigen begleitet werden. Trauerfeiern durften nur unter strengen Auflagen stattfinden. Persönliche Abschiede waren in vielen Fällen nicht möglich.

Tröstlich und heilsam

„Die Frage, ob sich ein Verlust ohne diese Ausnahmesituation anders angefühlt hätte, wird viele Trauernde noch lange beschäftigen“, sagt Stephan Neuser, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Bestatter. „Insbesondere während der Feiertage sollten Familie und Freunde sich die Zeit nehmen, Trauernden in ihrem Schmerz beizustehen. Das kann natürlich ganz unterschiedlich aussehen. Wichtig ist, offen darüber zu sprechen, was dem Einzelnen guttut, und Räume zu schaffen, in denen die Trauer auch als tröstend und heilsam empfunden werden kann.“

Für Dr. Simon J. Walter, Kulturbeauftragter der Stiftung Deutsche Bestattungskultur, sind die individuellen Formen und Wege der Trauer entscheidend: „Die Trauer jedes Einzelnen sieht anders aus, braucht ihre eigene Zeit und ihren eigenen Raum. Gerade in der gesellschaftlichen Ausnahmesituation, in der wir uns aktuell befinden, bieten die Weihnachtstage und die Tage um den Jahreswechsel die Möglichkeit, gedanklich einen Schritt zurückzutreten und innezuhalten. Was tut mir gut in meiner Trauer? Wie kann ich anderen in ihrer Trauer beistehen? Und wie kann ich einen Abschied, der mir durch die Pandemie verwehrt worden ist, vielleicht auf ganz eigene Weise nachholen – oder meinen Nächsten auf einem solchen Weg begleiten?“

Die Antworten auf diese Fragen kann jeder nur selbst geben. Dass diese Feststellung uns heute selbstverständlich scheint, dokumentiert ein Stück weit den Wandel unserer Bestattungs- und Trauerkultur. Gerade vor diesem außergewöhnlichen Weihnachtsfest fühlen wir, dass Sterben und Abschiednehmen zum Leben dazugehören – und dass jeder ein Recht auf einen persönlichen Abschied hat.

Stephan Neuser, Bundesverband Deutscher Bestatter e. V., Generalsekretär
Dr. Simon J. Walter, Stiftung Deutsche Bestattungskultur, Kulturbeauftragter

Foto: Pixabay

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