Wie ich als Sexual-Coach das Jahr 2020 erlebt habe

... und was Paare in 2021 unbedingt tun sollten

Im letzten Jahr hatte ich deutlich mehr Anfragen von Paaren als sonst. Die Corona-Krise schlägt Menschen nicht nur aufs Gemüt, sondern offensichtlich auch auf die Libido.

Die Lust auf Sex ist vielen vergangen – vor allem, wenn sie schon vorher nur gering ausgeprägt war. Eine Studie der Uni Wien zu den Auswirkungen des ersten Lockdowns auf Beziehungen hat gezeigt, dass die meisten Paare noch seltener Sex hatten als sowieso schon. Es gab mehr Trennungen und insgesamt haben sich Menschen stark voneinander distanziert.

Leute kommen mit den unterschiedlichsten Beziehungsfragen auf mich zu, mit dem Wunsch nach besserem Sex, mehr Nähe oder überhaupt den passenden Partner zu finden. Was ich meinen Kunden im Coaching sage, ist allerdings oft erst mal eine Irritation. Denn es widerspricht vielem, was überall sonst über Beziehungen zu lesen ist und was alle anderen sagen. Coaching hat nichts damit zu tun, dass Paare „an ihren Beziehungen arbeiten müssen“. Diese Floskel mag ich nicht. Es geht nicht darum, an der Beziehung zu arbeiten. Nein, es geht darum, dass Partner wieder miteinander lachen, dass sie neugierig aufeinander werden und dass sie sich gegenseitig brillant machen, anstatt sich über den anderen zu beschweren.

Ich werde in der Regel von einem von beiden kontaktiert, entweder vom Mann oder von der Frau. Bei mir meldet sich derjenige, der die Nase voll hat und eine Veränderung will. Der jeweils andere wird mehr oder weniger mitgeschleppt. Einmal hatte ich einen Mann in meinem Büro sitzen, der gar nicht wusste wo er war und was er hier sollte. Seine Frau hatte den Termin ohne sein Wissen gebucht. Aber er blieb da und nach der Sitzung war er merklich erleichtert, weil ich ihm viele Dinge sagen konnte, die er noch nie so gesehen hatte. Ich bin keine Therapeutin, sondern Coach. Was ein großer Unterschied ist. Grob gesagt beschäftigen sich Therapeuten mit Emotionen und Beziehungsproblemen und versuchen dabei selber möglichst unbeteiligt zu bleiben, während Coaches ihre eigene Lebenserfahrung einbringen und ihre Klienten mit Aufgaben herausfordern, die ihre Neugier aufeinander wieder wecken.

Der Sex wird bei so gut wie jedem Paar nach einigen Jahren fad und viele schaffen es nicht aus eigener Kraft, den kleinsten gemeinsamen Nenner wieder zu erweitern. Sie sind in ihren Gewohnheiten, ihren Erwartungen und ihrer Moral gefangen. Derjenige, der das Coaching initiiert hat, weiß meistens sehr genau  was er oder sie sich als Veränderung wünscht und kann es mir klar sagen. Oft herrscht eine hohe Dringlichkeit. Der Partner ist hingegen in den allermeisten Fällen zufrieden wie es läuft und sieht keinen oder nur geringen Veränderungsbedarf.  Das ist das Besondere dabei, Paare zu coachen: Es gibt immer einen, der gar nicht gecoacht werden will. Über die Jahre, aber ganz besonders im Jahr 2020, habe ich bestimmte Muster beobachtet, die bei sehr vielen Paaren ähnlich sind: Wenn mich Männer anfragen, tun sie es, weil ihre Frau kaum oder keine Lust auf Sex (mehr) hat und der Sex zu selten stattfindet oder die Männer sich nicht trauen, ihre sexuellen Wünsche ihrer Partnerin mitzuteilen. Sex hilft Männern beim Stressabbau, und wenn Sex nicht stattfindet, verstärken sich Stress und Anspannung. Viele Männer kommen in Corona-Zeiten besonders an ihre Grenzen, da sie mehr Zeit mit ihrer Frau verbringen und ihren Wunsch nach Sex noch mehr unterdrücken müssen, während der Druck durch Existenzsorgen und Ängste steigt.

Wenn mich Frauen anfragen, tun sie es, weil sie vom Sex mit ihrem Mann gelangweilt sind. Sie wissen meistens sehr genau was sie wollen, doch sie wissen nicht, wie sie ihren Mann dazu bringen können, mitzuspielen. Sie wünschen sich mehr Engagement vom Mann, mehr Phantasie oder dass er die Initiative ergreift. Sehr viele Frauen sehnen sich danach, im Bett die Kontrolle abzugeben und sich fallen zu lassen. Wenn vom Mann nichts kommt, verzichten sie lieber als sich mit ihm auseinander zu setzen, sind dahinter aber sehr frustriert. 2020 hat vielen Frauen, vor allem Müttern, sehr zugesetzt. Das Jahr war extrem stressig mit Doppel- und Dreifachbelastungen, während gleichzeitig die Ausgleichsmöglichkeiten wie Treffen mit Freundinnen in Restaurants, Kosmetik, Massagen, Fitness-Studios usw. ausfallen mussten – und noch über weitere Wochen nicht stattfinden werden. Dadurch steigt der Druck auch bei den Frauen enorm an, und die Partner kriegen es ab.

Die gute Nachricht: frustrierten Paaren kann geholfen werden, und dafür ist die aktuelle Zeit sogar gut. Denn wir alle sind gezwungen, uns mit der Frage auseinander zu setzen, was uns wirklich wichtig ist. Gute Beziehungen und ein erfülltes Sexleben rücken auf der Prioritätenliste wieder nach oben. Daher sollten Paare sich im ersten Schritt disziplinieren, überhaupt wieder Sex und Nähe zu erleben. Sie sollten mit ihrem ganz normalen Sexprogramm beginnen, auch wenn das zunächst langweilig erscheint. Denn: Körperliche Verbindung schafft auch wieder Herzensverbindung. Und die Glückhormone, die dabei ausgeschüttet werden, wie Ocytocin und Serotonin, entspannen und beruhigen. Meistens ist der Gedanke danach: „sollten wir wieder öfter machen.“ Darauf kann man aufbauen. Psychologische Studien zeigen, dass Paare, die regelmäßig Sex haben, sich verbundener und glücklicher fühlen. Gerade jetzt, wo soziale Kontakte extrem eingeschränkt sind, ist die körperliche Nähe mit dem Partner essentiell.

Mein wichtigster Tipp für Frauen:
sagt endlich klar und deutlich was ihr wollt. Selbst die modernste Frau hat leider noch die romantische Ansicht, dass ihr Mann Gedanken lesen und ihr „ihre Wünsche von den Augen ablesen“ soll. Oder sie druckst herum und redet um den heißen Brei und hofft, dass der Mann ihre Andeutungen versteht. Das können aber die wenigsten Männer. Im Gegenteil, Männer wünschen sich klare Ansagen. Wenn eine Frau gar nicht weiß, was sie will sollte sie beginnen, es herauszufinden. Es ist keine Option auf Sex zu verzichten, wenn frau in einer Beziehung lebt.

Mein wichtigster Tipp für Männer:
Werdet neugierig darauf, was eure Frau will. Und geht davon aus, dass ihr vieles nicht wisst, auch wenn ihr schon 30 Jahre verheiratet seid. Die meisten Männer haben in ihrem Kopf eine klare Vorstellung davon „was Frauen glücklich macht“. Diese hat nur leider oft nichts mit der eigenen Frau zu tun. Dass es Frauen so schwer fällt über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen, macht die Sache nicht leichter. Ich bin immer wieder erstaunt, was alles aus Frauen „herauskommt“ wenn ich die richtigen Fragen stelle. Hier hilft: neugierig werden und Neues ausprobieren, bitte spielerisch und – besonders wichtig – ohne Leistungsdruck!

Meine Empfehlung für beide Partner: Nutzt die Zeit des Januar-Lockdowns auch für ehrliche Gespräche. Was ist euch wichtig? Wie wollt ihr das neue Jahr erleben?  Was soll auf jeden Fall passieren und was auf gar keinen Fall mehr? Was hat im Jahr 2020 in eurer Beziehung funktioniert und was nicht? Hört auf, unausgesprochene Erwartungen an den anderen zu haben und zu schmollen, wenn sie nicht erfüllt werden. Jetzt ist Zeit für Tacheles. Oder vielleicht endlich für Unterstützung von außen.

Bücher der Autorin zum Thema

„gesundgevögelt in 12 Wochen“
„Heute komme ich zuerst“
„Männer sind Schweine, Frauen erst recht“,  alle erschienen im Goldegg-Verlag, Wien.

Text/Bild:
@Susanne Wendel

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