25 Jahre KunstAkademie Bad Reichenhall

Interview mit Direktor Stefan Wimmer

Mit rund 30.000 Teilnehmern im letzten Vierteljahrhundert zählt die KunstAkademie Bad Reichenhall zu den größten ihrer Art in Europa.

Untergebracht in der historischen Saline der oberbayerischen Kurstadt, reicht das Programm mit über 140 Kursen jährlich von Malerei über Zeichnung und Grafik bis hin zu Plastik, Videokunst sowie Performance – für Anfänger wie Fortgeschrittene.

Anlässlich des 25. Jubiläums wird es neben mehrwöchigen „Exzellenz Studien“ unter Leitung von renommierten Künstlern auch elf Ausstellungen mit Exponaten von Absolventen und Dozenten in der Städtischen Galerie geben. Im Interview erklärt Direktor Stefan Wimmer (53), was Bad Reichenhall als Kreativzentrum ausmacht, wie die digitale Revolution die Szene beeinflusst und ob man Kunst lernen kann.

London, Paris, Berlin sind gemeinhin die Städte, mit denen man Kunstakademien in Verbindung bringt. Warum hat sich Ihrer Meinung nach eine so renommierte Einrichtung ausgerechnet im oberbayerischen Bad Reichenhall etablieren können?
Stefan Wimmer:
Natürlich findet man auch in den genannten Städten Einrichtungen für Erwachsene, wo sie Kunstkurse belegen können. Aber im Gegensatz zu Frankreich, Großbritannien und den USA gab es bis Mitte der 1990er-Jahre in Deutschland keine größere außeruniversitäre Institution, die Kunst professionell an Interessierte vermittelt hat. Hinzu kommt in Bad Reichenhall eine ideale Kombination für Kreative: nämlich unsere Ateliers im Industriedenkmal Alte Saline, hochkarätige Dozent*innen und eine charmante Stadt, umgeben von beeindruckender Natur.

Seit 2017 sind Sie Direktor der KunstAkademie Bad Reichenhall. Was hat Sie an der Stelle besonders gereizt beziehungsweise wie sind Sie zu ihr gekommen?
Stefan Wimmer:
Als studierter Soziologe habe ich eigentlich nicht die typische Ausbildung absolviert für jemanden, der in der Kunst aktiv ist. Die Initialzündung verdanke ich der Begegnung mit dem Künstler Carlfriedrich Claus im Bielefelder Kunstverein. Im Anschluss startete ich meine Laufbahn bei einer Galerie für Klassische Moderne und Zeitgenössische Kunst in Leipzig. Nach weiteren Stationen an der Kunsthochschule Kassel, in einer Schweizer Galerie und einigen Jahren Selbstständigkeit folgte 2017 der Ruf nach Bad Reichenhall. Dort bewege ich mich zwischen meiner Expertise als Kunstvermittler und dem Wunsch, Kreativität für die Gesellschaft erfahrbar sowie in Teilen auch erlernbar zu machen – und zwar für jedermann.

Welche Schüler kommen zu Ihnen und mit welcher Motivation?
Stefan Wimmer:
Bei uns finden Sie viele, die Kunst als Freizeit- oder Wohlfühlprojekt wahrnehmen und sich eine Auszeit vom Alltag gönnen. Aber auch solche, die in ihrem privaten Umfeld dauerhaft künstlerisch tätig sind. Bis hin zu denjenigen, die Kunst eigentlich zu ihrem Beruf machen wollten, dies aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht umsetzen konnten. Alle eint, dass Kreativität für sie ein wesentliches Momentum ihrer Existenz ist.

Braucht es nur großes Kunstinteresse, um an einem der Einsteiger-Akademiekurse teilnehmen zu können oder sollte de facto auch Talent vorhanden sein? Kurz: Kann man bei Ihnen zumindest die Basics der Kunst „erlernen“?
Stefan Wimmer:
Kunst kann man nicht lernen! Man kann das Handwerk erlernen. Aber dann handelt es sich zunächst um Kunsthandwerk, also gut gemachte Bilder, Skulpturen und Zeichnungen. Natürlich lehren wir in zahlreichen Kursen diese Fähigkeiten. Im Zentrum unserer Tätigkeit auf allen Ebenen jedoch stehen künstlerisches Arbeiten und Denken. Viele Menschen sind gern kreativ, ohne einen großen Anspruch damit zu verbinden. Auch ihnen wollen wir die Freude daran vermitteln. Ich denke, 30.000 Teilnehmer*innen in 25 Jahren KunstAkademie Bad Reichenhall sprechen eine deutliche Sprache.

Wie oft passiert es, dass Ihnen unter den 1.200 Schülern, die die KunstAkademie jedes Jahr besuchen, ein Talent mit riesigem Potenzial unterkommt?
Stefan Wimmer:
Grundsätzlich beurteilen wir unsere Teilnehmer*innen nicht. Bis auf wenige Ausnahmen aber kann man sagen, dass in praktisch jedem unserer Meisterkurse besondere Talente zu entdecken sind.

Mit Markus Lüpertz unterrichtete 2002 bis 2014 ein echtes Schwergewicht der Szene an der KunstAkademie Bad Reichenhall, aber sicher nicht das einzige …
Stefan Wimmer:
Hermann Nitsch, Elvira Bach oder auch Nils-Udo waren ebenso erstklassige Künstler*innen in Bad Reichenhall. Aktuell haben wir mit Katharina Sieverding, Leiko Ikemura, Stephan Balkenhol oder Bernd Zimmer eher noch mehr Hochkaräter*innen verpflichtet.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Dozenten der Akademie aus?
Stefan Wimmer:
Uns interessieren stets zwei Fragen: Bietet der/die Künstler*in einen Ansatz an, der uns begeistert und den wir vielleicht noch nicht in unserem Programm haben? Außerdem klären wir in Gesprächen mit ihnen, wie ihr pädagogisches Verständnis ist. Denn in unserer Einrichtung muss man Gefallen daran finden, in wirklich jeder Person künstlerische Potenziale zu wecken.

Und nach welchen Kriterien werden die Meisterschüler, die ab 2021 an den Exzellenz-Studien teilnehmen dürfen, ausgewählt? Oder kann man sich dort einfach „einbuchen“?
Stefan Wimmer:
Für alle Meisterkurse an der KunstAkademie Bad Reichenhall gilt, dass man sich bewerben muss. Die Auswahl treffen aber nicht wir, sondern die Dozent*innen.

Wo sehen Sie die KunstAkademie Bad Reichenhall in zehn Jahren?
Stefan Wimmer:
Die Kunstakademie soll in zehn Jahren auf drei Ebenen als kreative Bildungsplattform etabliert sein: Erstens streben wir eine Verdopplung unserer Teilnehmer*innen an. Zweitens möchten wir unser vielfältiges Veranstaltungsprogramm noch erweitern. Drittens wollen wir im Spektrum zwischen digital und analog die gesamte künstlerische Bandbreite mit Kursen abdecken.

Last, but not least: die neuen Medien. Inwiefern beeinflussen sie die Kunstformen an der Akademie oder sind eine wertvolle Ergänzung, vor allem was Fernstudien betrifft?
Stefan Wimmer:
Bei uns hat die Corona-Pandemie die enorme Bedeutung der physischen Präsenz, des Raums und der Atmosphäre offenbart. Rein digitale Formate sind in den klassischen Kunstformen immer limitiert. Durch die Corona-Krise aber haben wir viel Erfahrung bei Online-Kursen sammeln können und setzen diese 2021 zum Beispiel mit der Fotografin Sonja Braas aus New York um. Ich bin dennoch ein Verfechter der digitalen Revolution: Wir erhalten mit dieser Technologie neue Instrumente, um unser kreatives Potenzial in bisher ungeahnte Richtungen zu entwickeln. Einher geht damit auch, dass wir den digitalen Raum als Gestaltungsraum begreifen.

Interview: Jessica Harazim/AHM
Foto: KunstAkademie Bad Reichenhall

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