Morgengruß von Helmut Harff: gering literatisierte

Wer ist das …

Am Wochenende hörte ich einen Begriff, den ich zuvor noch nie bewusst wahr genommen, wahrscheinlich noch nie gehört hatte: gering literatisierte. Nach einiger Recherche weiß ich nun, dass garantiert niemand der Leser meiner Kolumne ein gering literatisierter ist.

Doch was ist ein gering literatisierter? Ist das jemand, der nur 3-Groschen-Romane ließt? Ist das einer, der weniger als zehn Bücher hat? Ist das einer, der nicht ließt? Ist das einer, der nie das Literarische Quartett gesehen hat?

Na, so weit war ich mit meinen Überlegungen gar nicht von der Wahrheit entfernt. Doch was bedeutet eigentlich literatisiert? Bei Wikipedia kann man dazu lesen: „Der Begriff Literalität (von lateinisch littera „Buchstabe“) ist verwandt mit dem englischen literacy (übersetzt als „Lese- und Schreibfähigkeit“ oder „Bildung“) und wird als Fremdwort auch in der deutschen Sprache mit dieser Bedeutung verwendet. Das Gegenstück, die illiteracy, wird aus dem Englischen entweder mit „Analphabetismus“ oder „ohne Bildung“ übersetzt.“ Es hat also nichts direkt mit der Literatur oder mit Büchern zu tun, wohl aber damit, ob und wie jemand schreiben und lesen kann.

Doch wieso spricht man nicht mehr je nach Fall von Analphabetismus oder von funktionalem Analphabetismus – also von einer ausgereiften Lese- und Schreibschwäche? Das hat man doch sonst so gemacht. Warum macht man dann nicht das, was man schon lange gern macht und verwendet den englische Begriff illiterac? Ich weiß es nicht. Ich las dann nur, dass irgendwer – wahrscheinlich ein politisch überkorrekter Mensch – den Begriff funktionaler Analphabetismus als zu stigmatisierend einstufte. Ein neuer Begriff musste her.

Doch mal ehrlich, was unterscheidet die Bezeichnung  funktionalen Analphabetismus von gering literatisierten? Der Unterschied ist in etwa der zwischen "der ist aber Fett" oder "der ist aber ein antipöser Typ". Na ganz einfach – Analphabet und Fett kennt jeder. Wer nun von gering literatisierten Menschen oder einem antipösen Typ spricht, zeigt, dass er ein Bildungsbürger ist, dass er mit allen Menschen mitfühlen kann, schlicht, dass er zu den Gutmenschen gehört. Im Übrigen ist für mich Gutmensch auch nur ein anderes Wort für A... loch. Ich befürchte außerdem, dass der ach so politisch Korrekte auch nicht viel mit dem Begriff gering literatisierte anfangen kann oder zu den 7,5 Millionen Deutschen gehört, die eben unter funktionalem Analphabetismus leiden.

Die Beste Frau der Welt und ich sind mal gespannt, wann irgendwer feststellt, dass Frühstück nicht mehr sagbar ist, weil es irgendwen oder irgendwas stigamatisiert. Wenigstens schreibt man Frühstück mit das.

Ich wünsche Ihnen ein genussvolles Frühstück.

Gratulation allen, die heute Namenstag haben: Gerold, Emma, Leo, Timo

Foto: Pixabay

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