
Esther  Ferrer ist eine Performancekünstlerin der ersten Stunde und in  Deutschland bislang kaum vorgestellt. Die vielseitige Künstlerin wurde  1937 in San Sebastián, Spanien, geboren und lebt seit 1973 dauerhaft in  Paris. Der Ausstellungstitel Ich werde von meinem Leben erzählen geht  auf eine gleichnamige Performance von Esther Ferrer zurück. 
Teil  der Opelvillenschau sind vor allem Fotoserien, Modelle und Videos, die  das Verstreichen von Zeit zum Thema haben und gleichzeitig ihr  langjähriges, vielfältiges Werk dokumentieren.
Das Leben von  Esther Ferrer begann während des Spanischen Bürgerkrieges 1937, in dem  Jahr, als die baskische Stadt Guernica durch den Luftangriff der auf  Seiten Francisco Francos kämpfenden deutschen und italienischen Truppen  zerstört wurde und Pablo Picasso als Reaktion darauf sein ikonisches  Werk Guernica schuf. Geboren im Krieg, wuchs Ferrer während der  faschistischen Diktatur von Franco auf, der 1939 die Macht ergriffen  hatte. Durch ihr Leben in San Sebastián, das im Norden Spaniens nur 20  Kilometer von der französischen Grenze entfernt liegt, war für Ferrer  ein Grenzgang nicht schwer. In Frankreich war es ihr möglich, Zeitungen  und Zeitschriften zu lesen und sogar Filme zu sehen, die in Spanien  verboten waren. Bücher aus Frankreich mitzunehmen, war aufgrund der  spanischen Grenzkontrollen komplizierter. Ende der 1960er-Jahre  entschied sich Esther Ferrer, als Au-Pair-Mädchen nach Paris zu gehen,  wo bereits ihre Zwillingsschwester Mathilde lebte. Dadurch bekamen die  beiden Schwestern Gelegenheit, Museen, Galerien und Konzerte zu besuchen  und sich Filme in der Cinémathèque française anzusehen.
Endgültig  zog Esther Ferrer 1973 nach Paris. Nach ihrer Rückkehr kam Ferrer in  Kontakt mit sehr aktiven feministischen Gruppierungen, die für ihre  Rechte kämpften. Die Künstlerin erklärt, der Machismo sei keine  spanische Besonderheit, sondern in allen Gesellschaften zu finden. Sie  definiert Feminismus als einen Kampf für Freiheit und Gleichheit. Ihre  feministische Perspektive sollte nicht nur in ihrem künstlerischen Werk  eine wichtige Rolle spielen, sondern prägte auch ihre verschiedenen  journalistischen Artikel, Berichte, Rezensionen, Reportagen und  Interviews, die sie in mehr als zwei Jahrzehnten von 1976 bis 1997 in  Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte.
Ihre künstlerische  Praxis begann in Spanien in der späten Franco-Zeit. 1963 gründeten  Esther Ferrer und José Antonio Sistiaga (ein 1932 geborener Maler aus  San Sebastián) eine freie Workshop-Schule (Taller de Libre Expresión) in  San Sebastián nach der Freinet-Pädagogik, die Ferrer in Paris  kennengelernt hatte. Kinder konnten frei zwischen Materialien und  Techniken wählen, ohne im Gestaltungsprozess korrigiert zu werden.  Später machten sie einen ähnlichen Versuch in Elorrio, die Situation  dort gestaltete sich aber aus verschiedenen Gründen als schwieriger.
Obwohl  Esther Ferrer die Performance als Kunstform und die Arbeit von John  Cage (1912–1992) und von Fluxus kannte, führte sie ihre erste  Performance erst 1966 in San Sebastián in der Asociación Artística de  Gipuzkoa auf. 1967 suchte die Gruppe ZAJ, gegründet von Ramón Barce  (1928-2008), Walter Marchetti (1931–2015) und Juan Hildalgo (1927–2018)  eine Künstlerin für ein Projekt im Museo de San Telmo in San Sebastián.  Ferrer willigte ein und so entstand die Zusammenarbeit mit der Gruppe  ZAJ, die über 30 Jahre währen sollte. Von diesem Moment an entwarf die  Künstlerin ihre eigenen Performances mit und ohne die Gruppe, denn sie  wollte ihre Unabhängigkeit nie aufgeben.
Ferrer, Hidalgo und  Marchetti brachten mit ihren avantgardistischen Arbeiten die radikalsten  internationalen Kunstströmungen in das Spanien Francos. Aufgrund des  großen Interesses an den Performances außerhalb Spaniens begab sich die  Gruppe 1968 auf Tournee durch Europa und Deutschland. Esther Ferrer  lernte John Cage schließlich 1972 in Pamplona persönlich kennen, während  des internationalen Kunstfestivals Los Encuentros de Pamplona, das mehr  als 350 Künstler aus verschiedenen Bereichen wie elektronische Kunst,  Performance, Videokunst, Poesie, Malerei, Bildhauerei, Film und  experimentelle Musik zusammenbrachte. Begeistert von den  ZAJ-Performances organisierte Cage eine USA-Tournee von Januar bis  Februar 1973.
Die Gruppe ZAJ leistete Pionierarbeit, indem sie  Werke und Ideen von John Cage nach Spanien brachte, der eine  entscheidende Rolle für Esther Ferrers Werk spielen sollte. Wie der  US-amerikanische Komponist stellt Ferrer Stille in ihren verschiedenen  Formen – als physische Abwesenheit, als räumliche und auktoriale Leere,  als Unterbrechung der Erzählung usw. – in den Mittelpunkt ihres Werks,  ebenso wie die Wirkung des Zufalls. Auch Ferrer betont eine bewusst  prozesshafte und offene Herangehensweise, wobei sie eine strukturelle  Ordnung nicht ausschließt.
Ferner bildet der Feminismus eine  wesentliche Richtlinie in ihrem Werk und ist Ausgangspunkt vieler  Arbeiten. In den 1970er-Jahren fing Esther Ferrer wie andere  Künstlerinnen an, weibliche Identität als kulturelles Konstrukt in einem  patriarchalen System zu hinterfragen. Ferrer begreift Identität als  etwas Unvollständiges, der ein Prozess der ständigen Veränderung  eingeschrieben ist. Für die Künstlerin ist Identität konstruiert,  transformiert, in Zeit und Raum zu begreifen: Identität könne expandiert  werden, könne entdeckt werden und verändere sich mit den Aktionen von  anderen. Esther Ferrer betont immer wieder, dass es sich bei den  fotografischen Aufnahmen ihres eigenen Gesichts nicht um Selbstporträts,  sondern vielmehr um eine Arbeit über Zeit handelt. Nicht sich selbst,  sondern Zeit durch Spuren darzustellen, ist ihre Intention, für die sie  ihren Körper oder einen bestimmten Teil ihres Körpers als Medium und  Rohmaterial verwendet.
Den Körper als künstlerisches Element zu  nutzen, kennzeichnet das gesamte Werk von Esther Ferrer. In ihrer  sechzigjährigen Kunstpraxis gelang es ihr, ein multidisziplinäres und  zutiefst kritisches Werk in der Tradition der Prozesskunst zu schaffen,  in dem sie die Grenzen von Sprache und Zeit neu zieht und den Körper in  den Mittelpunkt stellt und ihn sowohl zum Subjekt als auch zum Objekt  macht.
In Kooperation mit Acción Cultural Española.
Kuratorin:  Dr. Beate Kemfert, Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim  Ausstellungsdauer: 16. Oktober 2022 bis 22. Januar 2023 Eintritt: 8 €,  ermäßigt 4 €, Familienkarte: 12 €, freier Eintritt für Kinder und  Jugendliche bis 18 Jahre und Mitglieder des Freundeskreises der Kunst-  und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim Ort: Opelvillen,  Ludwig-Dörfler-Allee 9, 65428 Rüsselsheim Öffnungszeiten: Di.–Fr. 10–18  Uhr, Sa. 14–18 Uhr, So. 10–18 Uhr Sonderöffnungszeiten: 1.  Weihnachtsfeiertag, Sonntag, 25. Dezember 2022, 2. Weihnachtsfeiertag,  Montag, 26. Dezember 2022, jeweils 10–18 Uhr mit öffentlicher Führung um  15 Uhr und Neujahr, Sonntag, 1. Januar 2023, 12–18 Uhr
Katalog: Online-Publikation ab 16. Oktober
Veranstaltung:  Performance »Ich werde von meinem Leben erzählen« von Esther Ferrer zur  Vernissage am Sonntag, 16. Oktober um 16 Uhr. Die Künstlerin ist  anwesend. Karten im Vorverkauf ab September.
Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim
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Bild: Esther Ferrer, Manos feministas, 1977 © Esther Ferrer & VG Bild-Kunst, Bonn 2022      
