Der Tesla Cybertruck

... wie einem Videospiel entsprungen



Der erste Eindruck täuscht nicht: Der Tesla Cybertruck könnte aus einem Videospiel stammen, teleportiert in die reale Welt. Er würde einem Protagonisten gut stehen, der Monstern und Angreifern entkommt, den Guten hilft und den Sieg erkämpfen soll. Oftmals in einer zertrümmerten Umgebung, rauchend und dekonstruiert. Eine Post-Apokalypse. Und sehr maskulin.

Die Edelstahlkarosserie des Cybertruck ist 1,8 Millimeter stark, eigentlich wirkt sie noch dicker. Geradezu scharfkantig sind die Bleche ausgeschnitten, keine Spur von den Rundungen, die man von Autotüren normalerweise kennt. Der Edelstahl ist natürlich empfindlich für Fingerabdrücke. In den USA sieht man viele fleckige Cybertruck herumfahren.



Ein Kollege, Kyle Connor, hat übrigens mit drei elektrischen Pick-ups einen Sicherheitstest durchgeführt: Er wollte wissen, ob die automatischen Schließvorrichtungen stoppen, wenn man etwa eine Karotte zwischen Karosserie und Deckel hält. Ergebnis: Der Rivian R1T hat den Test bestanden, die Klappe für den vorderen Stauraum federte sofort zurück. Der Cybertruck hat das Gemüse hingegen sauber durchtrennt, und zwar sowohl mit der Frontklappe als auch mit den Türen. Der Ford F-150 Lightning allerdings auch.

Auch der Einstieg ist ungewöhnlich: Kein Hebel, sondern ein beleuchteter Knopf an der B-Säule. Die Tür öffnet elektrisch. Das Cockpit: Ein Kommandostand in der Kampfzone. Roh, zweckmäßig, digital. Und auch hier dekonstruiert. Denn die Entwickler bei Tesla haben es geschafft, eine Vielzahl notwendiger Komponenten neu zu erfinden; Komponenten, die das futuristische Design banalisiert hätten: Rückspiegel, Blinkerhebel, Wählhebel. Das alles ist durch neuartige Komponenten ersetzt, die erstaunlicherweise alle Regulierungen erfüllen.



Die Außenspiegel sehen so brutal aus wie das ganze Fahrzeug. Der Scheibenwischer – nur einer, aber von gewaltigem Ausmaß – wird vom Lenkrad angesteuert, wie bei einem Lamborghini. Die Übersetzung wird auf einer Schaltleiste auf dem berührungsempfindlichen Zentralbildschirm ausgewählt. Dort findet praktisch alles statt, bis auf die wenigen Funktionen, die auf das Lenkrad oder die Sprachsteuerung ausgelagert wurden. Direkt vor dem Fahrer: Nichts. Auch der Wählhebel ist auf den Bildschirm gewandert.

Dieser minimalistische Ansatz zieht sich durch das gesamte Interieur. Es ist offen und geradezu grob gestaltet, mit synthetischen Sitzbezügen und Schlechtwetter-Fußmatten. Der Dachhimmel ist komplett verglast und abgetönt, das Interieur gleichsam unter einer gigantischen Sonnenbrille plaziert.



Das Lenkrad ist natürlich auch etwas besonderes: Eine Art Steuerhorn, oben und unten abgeflacht, mit Steer-By-Wire-Technologie: Keine Lenksäule, alles wird elektronisch gesteuert. Die Lenkung ist äußert direkt abgestimmt, man kann sich sehr gut daran gewöhnen. Gamer werden begeistert sein. Und ich stelle beim Rangieren fest: Die „toten Winkel“ sind sehr groß, nach hinten sieht man praktisch nichts, dafür gibt es die Kameras. Aber der Pick-up wirkt erstaunlich handlich, nicht zuletzt dank der Allradlenkung, deren Funktion sich im Rückspiegel nachvollziehen lässt.

Eine echte Testfahrt ist es noch nicht, was ich am Steuer des Cybertruck auf geschlossenem Grundstück an Eindrücken sammle; auch die Offroad-Eigenschaften kann ich noch nicht testen. Es fehlt ein echter Unterbodenschutz, der sich allerdings nachrüsten lässt. Ich habe jedenfalls Blut geleckt. Es gibt kein anderes Fahrzeug mit einem so radikalen Design wie diesen post-apokalyptischen Truck, diesen Panzer mit messerscharfen Linien, diesen Pick-up voller „Wäre-es-nicht-toll-wenn“-Features.



Der Cybertruck startet in den USA bei 76.390 Dollar (knapp 70.200 Euro). Vermutlich das richtige für Männer, die von den In-App-Käufen genug haben und sich vom Videospiel einmal in die reale Welt bewegen möchten. (cen/sc)

Foto: Autoren-Union Mobilität/Reiss

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