Wolf Biermann: "Lieder für jetzt!“

Coveralbum erscheint am 15.11.24 via CloudsHill



Wir freuen uns sehr, euch endlich das Album-Artwork und alle musikalischen Gäste zum kommenden WOLF BIERMANN Coveralbum „Wolf Biermann RE:IMAGINED - Lieder für jetzt!“ präsentieren zu können.

Dazu kommt noch die wunderbare Nachricht, dass es am 13.11.24 eine exklusive Show im Thalia Theater Hamburg mit Wolf Biermann und vielen seiner musikalischen Gäste vom Album geben wird. Der VVK startet heute! Link siehe Pressemitteilung.

Das Coveralbum „Wolf Biermann RE:IMAGINED - Lieder für jetzt!“ wird am 15.11.24 via Clouds Hill zu WOLF BIERMANN's 88. Geburtstag erscheinen.

Various Artists "Wolf Biermann RE:IMAGINED - Lieder für jetzt!"
 
Moritz Krämer - Fallen die Blätter der Rose
Mola - Enfant perdu
Haiyti - Am Alex an der Weltzeituhr
Jan Plewka & Die Schwarz-Rote Heilsarmee - Das kann doch nicht alles gewesen sein
Alligatoah - Der Hugenottenfriedhof
Balbina - Soldat, Soldat
Romano - Kunststück
Das Bierbeben - Vorfrühling
Peter Licht - Und wir hatten keine Höhle
Lina Maly - Das Barlach-Lied
Ina Müller - Bin mager nun und fühle mich
Albrecht Schrader & Charlotte Brandi - Pardon
VAN HOLZEN - Wann ist denn endlich Frieden
OK KID - Warte nicht auf beßre Zeiten
Betterov - Lied vom donnernden Leben
Bonaparte - Ermutigung
Katharina Franck & Paul Eisenach - Ballade vom preußischen Ikarus
Maxim - Bilanzballade im dreißigsten Jahr
Torch - Von den Menschen
Annett Louisan - So soll es sein - so wird es sein
Wolfgang Niedecken - Und als wir ans Ufer kamen
Meret Becker - Stillepenn Schlufflied

Das Cover-Album


(Text: Hendrik Otremba) Stellt man Wolf Biermann eine Frage, verhält es sich mit der Antwort wie mit einem Bumerang: Mit voller Kraft schleudert der bald 90-jährige Liedermacher, wach und agil, als sei er halb so alt (und dabei so Weise wie das doppelte an Jahren), die Frage in weitem Bogen von sich weg, macht sie zu einer Frage der ganzen Menschheit, schleudert sie durch Raum und Zeit, lässt sie über die Dinge fliegen, durch die Ereignisse schneiden, lässt sie in entlegenste Gedanken- und Geschichtswinkel vordringen, fremde Atmosphären erkunden, um sie schließlich, nach 20 Minuten Flug, als eine Antwort wieder aufzufangen, die eine Eindeutigkeit schuldig bleibt. Und wenn er sie dann aus der Luft schnappt, die Antwort, als habe er ihre Position die ganze Zeit über ganz sicher gekannt, kommt er dabei auch wieder zu sich zurück, in die Gegenwart, hat so mit der Frage und von ihr merklich beflügelt, eine ganze Strecke zurückgelegt, die auch ihn wieder ein Stück weitergebracht hat – intellektuell wie auch emotional. Man weiß dann mehr. Und gleichzeitig fragt man sich auch wieder mehr. Biermanns fragende Antworten nämlich, die einen weiten Raum erkunden in ihrem Denken, sind niemals abschließend. Weitere Fragen folgen. Und Widersprüche drängen sich auf, fordern, dass man sie aushält, mit ihnen (zu) leben lernt. Biermanns dialektischer Bumerang ist ein schleuderndes Denkmedium, das nur eines zum Ziel hat: Eine bessere Welt für uns Menschen. So laboriert seine Auseinandersetzung mit dem, was gewesen ist, grundsätzlich immer auch: am Zukünftigen!
 
Letztlich hat es sich auch mit seinen Liedern immer schon so verhalten, die ja auch nicht viel mehr sind als schön klingende, poetische Fragen nach den Möglichkeiten eines besseren Lebens. Kraftvoll, in ihrer Materialität an Lebenserfahrung spürbar, schleudern sie durch die Atmosphäre, lebendig und lustvoll, zornig und kompromisslos. Intim und weltgewandt. Freundlich und verachtend. Biermann, der große deutsche Liedermacher, virtuos an der Gitarre, hochbegabt an Sprache und Melodie, scheint wie Bob Dylan immer vom großen Ganzen zu erzählen, wenn er ein Stück schreibt, das dabei aber doch eben, wie bei Dylan, einen konkreten Gegenstand betrachtet, einem zwingenden Anlass folgt. Nur sind eben Gegenstand und Anlass komplex und immer und untrennbar mit dem großen Ganzen verknüpft.
 
Bis zum Aufschreiben (und der dann folgenden Aufnahme mit einfachsten Mitteln – erst mit Scheerer ging Biermann jüngst zum ersten Mal in ein professionelles Tonstudio) entstehen die Texte dabei auch in seinen Tagebüchern, die er seit über 60 Jahren führt und die wohl, sollten sie eines Tages eine historisierende Auswertung finden, das aufgebrachteste, herzlichste, witzigste, klügste und verrückteste Zeitdokument deutscher Nachkriegsgeschichte bieten dürften, das man sich vorstellen kann. Doch eigentlich braucht es diese Auswertung nicht. Es ist ja alles da: in den Songs. So stellt Biermanns über 300 Stücke zählendes musikalisches Werk ein maßgebliches Zeugnis des 20. und 21. Jahrhunderts dar, bis ins Jetzt, und zeigt dabei, dass die Kunst etwas kann, das keinem weiteren Medium vorbehalten ist: Geschichte nämlich spürbar machen – und das auf eine Art, die auch die Gegenwart mit einbezieht.
 
Wie es dazu kommt, dass Biermann schreibt – oder: was passieren muss, damit er das tut, ist also nicht wirklich zu fassen. Doch es geschieht, zum Glück, und das noch immer. So sind in einem Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert Echokammern unserer Zivilisation entstanden, vielschichtige Stimmen, die bohrend nachfragen, die als einzig mögliches Heilmittel gegen die Angst nur die Hinwendung kennen, die stete Konfrontation. Stücke, die das Menschenleben feiern, und gleichzeitig wissen, wie verletzlich es ist. So gesehen, und das will schon etwas heißen, wird der Sinn einer solchen Stimme, der Stimme Wolf Biermanns, niemals erlöschen.
 
Zunächst ist es somit ein interessantes Experiment, das, angestoßen von Biermanns Frau Pamela, nun unter der vertrauensvollen Laboraufsicht Johann Scheerers stattfindet: Was passiert, wenn man die Stücke Biermanns nimmt, deren Rechte Scheerers Label Clouds Hill, inklusive der Verlagsrechte, gerade allumfassend akquiriert hat (auch, um das Werk der historischen Figur Wolf Biermann zu pflegen), und sie gegenwärtigen Musikschaffenden in die Hände drückt, die einer jüngeren Generation angehören? Für Johann Scheerer, philanthropisch geprägt, eine Frage, die vor der Bedeutung des Biermanschen Gesamtwerks nahezu gestellt werden musste: »Mit den Coverstücken möchten wir einen einladenden Zugang gestalten, der sich an ein breites Publikum richtet und auch Menschen mit einbezieht, die noch nicht wissen, wer Wolf Biermann ist! Seine Musik ist wichtig, sie will und soll sich an ein möglichst breites Publikum richten. Dabei wollen wir helfen und gleichzeitig eine Werkpflege betreiben.«
 
Für die Biermanns und Scheerer gab es dabei, wie sich wohl erahnen lässt, gleich mehrere gute Gründe, dieses Mammutprojekt zu verfolgen: Die musikalische Perspektive nämlich soll das Werk einmal losgelöst vom realpolitischen Zeitzeugen betrachten, dessen Ausbürgerung aus der DDR 1976 stets über seiner Rezeption steht – und dieser manchmal auch das Licht raubt. Pamela: »Biermann als virtuoser Gitarrist, als Sänger, als Dichter. Als Musiker, durch und durch!« So soll weitergetragen werden, was einer ganzen Generation von Nachkriegskindern im Westen wie im Osten Worte gegeben hat für ihre Kritik, ihre Skepsis, ihre Wut, ihre Liebe, soll einer jüngeren Generation zugänglich werden, die sich wieder im Protest übt, die aufbegehrt. Denn relevant sind die Themen nach wie vor – und das Format des scharfsinnigen, aufgebrachten Liedes, das laut gesungen wird und kein Blatt vor dem Mund duldet, braucht es in der heutigen Welt mehr denn je! So stellt sich das Coveralbum, ganz im Sinne Biermanns poetischer Programmatik, auch nicht als Rückblick dar, sondern vielmehr als ein Transfer, ein Wuchern in die Zukunft. Musik als Ermutigung!
 
Ohne langes Zögern hat sich in diesem Bewusstsein eine große Schar gegenwärtiger Musikschaffender zusammengefunden, um sich seiner Werke anzunehmen, was Labelmacher Scheerer merklich begeistert: »Das Projekt der Coverstücke ist eine Verneigung sowohl vor Biermann als auch vor den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern selbst.« Und die Liste liest sich bereits jetzt sehr gut, gestaltet sie sich doch äußerst abwechslungsreich und vielschichtig: Moritz Krämer, Wolfgang Niedecken (BAP), Maxim, Torch, Romano, Albrecht Schrader & Charlotte Brandi, Alligatoah, Haiyti, Annett Louisan, Mola, Jan Plewka, Bonaparte, Ina Müller, Das Bierbeben, Betterov, Peter Licht, Balbina, Van Holzen, Ferris MC, Das Bo, Lina Maly, OK KID, Katharina Franck & Paul Eisen und die große Meret Becker!
 
»Mich hat vor allem auch interessiert: Wie klingt das, wenn Wolfs Texte etwa im Gewand eines Sprechgesangs performt werden?«, sagt Pamela Biermann. »Bisher hat sich ja niemand so wirklich an sein Werk gewagt – weil es eben eine starke Eigenart besitzt und weil er noch lebt.« So ist das Coverprojekt auch eine Einladung, will Hürden abbauen, das Soziale in der Musik starkmachen, das Miteinander. Und es funktioniert: Die Songs, die sich die Musikschaffenden aus über 300 Stücken ausgesucht haben, lassen Biermann ganz klar erkennen – in seiner Sprachkunst, seinem erzählerischen Ton. Gleichzeitig aber werden sie zu den Stücken ihrer Interpreten, offenbaren in den neuen Versionen so, wie Biermanns Art zu schreiben immer auch eine Sprache bemüht, die die Sprache der Leute ist.
 
Auch stilistisch lassen sie eine breite Variation zu. Egal ob im Spoken Word-artigen Stile eines Torch (»Von den Menschen«) oder im schmachtenden Singsang der Annett Louisan (»So soll es sein«), im hysterischen Tempo Maxims (»Billanzballade im dreißigsten Jahr«) oder der theatralen Verspieltheit Charlotte Brandis, die hier mit Albrecht Schrader zusammenarbeitet (»Pardon«): Biermann funktioniert, lässt sich um-singen, anders singen, lässt sich interpretieren, adaptieren. Wenn Alligatoah sich etwa des »Hugenottenfriedhofs« annimmt, strahlt da eine Lebendigkeit, die sicher auch vom Interpreten begünstigt wird, Gewiss aber schon aus dem Wesen des Verfassers stammt. Schön zu beobachten ist dabei, wie Biermanns Stücke in den Interpretationen die Luft einer anderen Zeit atmen können, wie etwa bei Meret Beckers betörender Version von »Stillepenn Schlufflied«, sie andererseits hochgradig contemporary zu wirken vermögen, wenn etwa Balbina sich dem Stück »Soldat, Soldat« annimmt – und hier wird deutlich: gegen den Krieg opponieren, das wird mit diesen Menschen, die sich in ihrem Wesen im Zeitraum von Urfassung und Interpretation kaum geändert zu haben scheinen, immer notwendig bleiben.
 
Beachtenswert, und auch ein ausgesprochener Anspruch Scheerers, ist dabei die Vielseitigkeit der Interpretationen, und einhergehend: die Verschiedenheit der Interpretierenden. So zeigt sich eine außerordentlich bekannte Ina Müller (»Bin mager nun und fühle mich«) souverän im modernen Chanson, während Underground-Legenden wie Das Bierbeben (»Vorfrühling«) freie Hand bekommen, ihrer dynamischen Vision Raum zu geben. Und solche, die ebenfalls Legenden sind, verneigen sich auf ihre Art. Wenn etwa Wolfgang Niedecken ans Mikro tritt, um »Und als wir ans Ufer kamen« zu singen, begegnen sich dort zwei Giganten. Pamela Biermann unterstreicht auch in dieser Hinsicht, wie passend sie das Hamburger Independent Label für dieses Großprojekt findet: »Clouds Hill, das bedeutet Eigensinnigkeit. Die handeln im eigenen Auftrag, aus voller Überzeugung!«
 
So kommt ein großes Werk zu einer großen Würdigung, und der Chor der prominenten und eigensinnigen Stimmen, die sich dieser einzigartigen Musik angenommen hat, trägt weiter, was Biermann noch heute auszeichnet: Fragen stellen! Skeptisch bleiben! Kritik frei heraus äußern! Gegen die Angst arbeiten! Sie singen von der Notwendigkeit, den Finger in die Wunde zu legen. Oder, mit Biermanns Worten, als Auftrag formuliert: »Man muss immer zu weit gehen. Auch, um herauszufinden, wo man steht!« Hier nun gehen einige der spannendsten Kunstschaffenden der Gegenwart so weit, dass sie glanzvoll und souverän zeigen können, wie groß und wichtig Wolf Biermann ist – um mit ihm gemeinsam dann noch ein Stück weiter zu gehen … 

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