Morgengruß von Helmut Harff: Die Juden, der Iwan, die Polacken, die Deutschen

… und ein Schatz



Eingeladen vom Lausitz-Festival freuten wir uns auf eine Lesung im Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst in Cottbus. Wir wussten eigentlich nur, dass es um eine Übersetzung aus dem jiddischen geht und der Schauspieler Hans-Jürgen Schatz lesen wird.

Kaum sprach er aus dem Buch „Geschichten von tausendundeiner Nacht“, das der anwesende Gernot Jonas übersetzte, fielen Wort wie Jude, Iwan und Russe, Polacke. Es war die Rede von Orten wie Kruchnik und Junew, aber auch Kiew oder Liw. Es ging um Krieg, um das Verhältnis der Juden und Polen – den Polacken. Es ging um die Verfolgung, um Pogrome, um den Mord an Juden durch die Russen – den Iwan. Überall waren Soldaten, war Krieg, waren Gegner, die vor allem die bekämpften, ermordeten, die gerade mit dem Gegner zusammenarbeiteten, versuchten, die öffentliche Ordnung unter dem einen oder anderen Besatzer aufrecht zu erhalten.

Man könnte das Ganze auch mit einer Titelabwandlung überschreiben: „Im Osten nichts Neues“. Was mich nur stutzig machte, dass Deutsche und sogar Österreicher in Uniform eine Rolle spielten und nirgendwo von der Ukraine die Rede war. Das erklärte sich schnell, denn der eigentliche Autor des kleinen Büchleins, das im Erve-Rav Verlag erschien, war kein geringerer als Scholem Alejchem. Er, der Autor von "Tewje, der Milchmann" – der Vorlage für das Musical Anatevka – wurde 1859 als Scholem Jankew Rabinowitsch in Perejaslaw bei Kiew geboren. Die sehr eindrucksvoll gelesene Geschichte spielt also im ersten Weltkrieg.
 
Schon damals bekriegten sich alle, außer die Ukrainer, denn die spielte da als Staat noch gar keine Rolle. Dafür wurden „gern“ die Juden zu Opfern, wurden ausgeplündert und ermordet. Auch die Polen schienen aus der Sicht von Scholem Alejchem die Juden alles andere als gemocht haben. Sie, so war zu hören und ist zu lesen, verrieten die Juden an die russischen Kosaken – den Iwan.

Eigentlich ist das Buch mit viel Humor geschrieben, der einem aber immer wieder im Halse stecken bleibt. Das liegt einerseits an der wirklich toll übersetzten und gelesen Story, andererseits an die unzähligen aktuellen Bezüge. Das Lachen blieb mir auch immer bei dem Gedanken im Halse stecken, dass man auch über 100 Jahre nach dem mörderischen 1. Weltkrieg, nach den fast täglich stattfindenden Pogromen gegen die Juden, nach dem gegenseitigen Abschlachten nichts, aber auch gar nichts gelernt hat.

Ganz sicher war nicht nur ich froh, als die zweieinhalb stündige Lesung zu Ende war und wir alle in einen erlösenden Applaus ausbrechen konnten. Das löste so manche Verspannung.

Noch ein Satz zu dem Buch „Geschichten von tausendundeiner Nacht“. Das sollte an allen Schulen zum wichtigsten gehören, was man den oberen Klassen zum Lesen gibt. Besseren Geschichts – und Literaturunterricht kann man gar nicht machen.

Ob das Lausitz Festival die Lesung mit Hans-Jürgen Schatz mal veröffentlicht?

Die Besten Frau der Welt und ich werden auch heute noch beim Frühstück über die so wenig lernfähige Menschheit sinnieren.

Ich wünsche Ihnen ein genussvolles Sonntagsfrühstück.

Gratulation allen, die heute Namenstag haben:  Verena, Ruth, Ägidius

Foto: eigen

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