Neues aus dem Münchner Volkstheater



(von Josef Scheppach) 13 Premieren, zwei Showformate sowie zahlreiche Konzerte und Lesungen erwartet die Zuschauern in der Spielzeit 2024/25 im Münchner Volkstheater.

Zu den Highlights zählt "Felix Krull", mit Thomas Mann die hinreißenden Memoiren eines gerissenen Kriminellen und Fantasten gelungen ist, der die gute Gesellschaft mit Leichtigkeit um den Finger wickelt und sich so seinen Weg nach oben bahnt.

Felix, der Kaiser der Schwindler und Diebe

Felix Krull löst sich aus seinem bankrotten Elternhaus im Rheingau, um mit "natürlicher Begabung für gute Form" den Reichen, Schönen und Mächtigen genau das vorzuspielen, was diese in ihm sehen wollen. Auf diese Weise entzieht er sich dem Militär, verführt spielend die Pariser Damenwelt und tauscht schließlich mit dem von Enterbung bedrohten Marquis de Venosta seine Identität. Einem glanzvollen Leben voller "Liebeslust" scheint nun nichts mehr im Wege zu stehen... Felix, der Glückliche, der Kaiser der Schwindler und Diebe.

Frauenfiguren als komplexe Wesen

Hausregisseur Philipp Arnold wird ArnaAleys Gegenwartsbeobachtung „Unsterblichkeit oder: Die letzten sieben Worte der Emilia Galotti“ zur Uraufführung bringen, Inhalt: Der Prinz von und zu Nymphenburg und Princess Amalia ofSaxony feiern Hochzeit, die jedoch trotz Glückwünschen des bayrischen Ministerpräsidenten nicht ohne Zwischenfälle vonstatten geht. Kurze Zeit später ist die Prinzessin bewusstlos und der Prinz – entführt? Jedenfalls findet sich das Blumenmädchen Nailia schlaftrunken im Schlafgemach des Prinzen wieder, wo dieser seine Hochzeitsnacht damit verbringt, gemeinsam mit seinem Kammerdiener Marinelli eine (neurechte) Wahlstrategie zu entwickeln, die hoffentlich nicht zu Nebenhandlung verkommt. Aber wer hat hier eigentlich wem Schlafmittel in den Drink gekippt? Es braucht eine neue Erzählung, denn wer hat schon Bock darauf, sich in die statisch-reflexive Seitenlage einer deutschen Emilia hineinzuversetzen, um sich "aufgeklärte" Reaktionsmuster anzueignen? Gräfin Orsina sicher nicht, die unter dem #orsinaspace fordert, Frauenfiguren endlich als komplexe Wesen darzustellen. Plötzlich setzt ein Hype um Caspar David Friedrich endgültig alle außer Gefecht und im wilden Ritt durch das deutsche bürgerliche Trauerspiel darf Nailia – Herkunft nach eigener Aussage krimtatarisch – endlich darauf hinweisen, was die Ereignisse von 1772 mit der heutigen Weltpolitik zu tun haben.

ArnaAley nimmt in ihrem Auftragswerk für das Münchner Volkstheater die wohl berühmteste Entführungsgeschichte der deutschen Dramenliteratur und das deutsche bürgerliche Trauerspiel höchstselbst auseinander.

Schicksal amerikanischer Klimaflüchtlinge

Desweiteren kommt John Steinbecks gesellschaftskritischer Roman „Früchte des Zorns“ auf die Bühne. Der Roman löste bei seiner Veröffentlichung 1939 einen Skandal aus. Für die ungeschönte Sozialkritik des Romans wurde Steinbeck Umstürzler geschimpft und erhielt Morddrohungen. Später wurde der Bestseller mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, verfilmt und 1962 erhielt Steinbeck den Literaturnobelpreis. Der Roman nimmt das Schicksal einer Gruppe amerikanischer Klimaflüchtlinge zur Zeit der Great Depression in den Fokus. In der Dust Bowl haben viele Farmer durch jahrelange, zum Teil menschgemachte Dürren ihre Ernten verloren und können die Pacht für ihr Land nicht mehr bezahlen.

So verlassen sie in den 1930er-Jahren zu Hunderttausenden ihre Heimat und machen sich auf den Weg ins 2000 Kilometer entfernte Kalifornien, dem vermeintlich gelobten Land. Auch die verarmte Farmersfamilie Joad begibt sich auf die lange und beschwerliche Suche nach Arbeit und einem neuen Leben. Doch stattdessen erwarten sie nur Ausbeutung, Hunger und Fremdenfeindlichkeit.
Steinbeck schrieb seinen Jahrhundertroman zutiefst bewegt vom Elend, das er in einem Flüchtlingslager dokumentierte, und mit dem erklärten Ziel, Empörung über die sozialen und politischen Missstände zu wecken, die von einer ungerechten Wirtschaftsordnung und der Zerstörung der Umwelt hervorgerufen werden. Regisseur Max Lindemann begleitet in seiner Inszenierung die Familie Joad auf den Flüchtlingstrecks und untersucht die politischen Umstände, die heute zu globalem Ausmaß angewachsen sind.

Wahnsinn der absoluten Macht

Mit Herrschaft und Systemen befasst sich das Stück„Caligula“ von Albert Camus Inhalt: Der Kaiser trauert. Caligula gilt als die Hoffnung des römischen Reiches, ein gewissenhafter junger Herrscher mit den besten Absichten. Doch der Tod seiner geliebten Schwester Drusilla stürzt ihn in eine tiefe Krise. "Die Menschen sterben, und sie sind nicht glücklich", stellt er trocken fest. Diese schlichte Erkenntnis weitet sich jedoch aus zu einer grundsätzlichen Infragestellung der menschlichen Existenz, der Moral und der Gesellschaft. Was für einen Sinn hat unser Streben? Und welchen Sinn kann ein allmächtiger Herrscher in seinem Tun finden? Seine Willkürherrschaft wird zu einem radikalen Experiment, nach dem Unmöglichen zu streben, das dabei aber vielmehr den Wahnsinn der absoluten Macht offenbart. So gibt er seinen Feinden immer mehr Grund, seine Ermordung zu planen.

Die Willkürherrschaft hat heutzutage wieder Hochkonjunktur. Wir erleben ein Comeback der Autokratie. Hinter der politischen Dimension steht in Camus' Stück jedoch immer auch das Existenzielle. Er selbst bezeichnete sein erstes Drama als eine "Tragödie der Erkenntnis". Sämtliche Illusionen werden von Camus wie von Caligula zerschlagen. Die Theatralität und Maskenhaftigkeit der Gesellschaft werden immer wieder entlarvt, während der Kaiser sich als totaler Regisseur geriert und doch steht hinter der trauernden Figur die tiefe Sehnsucht nach einer unerreichbaren Freiheit, einem Ausweg aus der Absurdität der Welt.

Aggressive und unempfindliche Dickhäuter

Last but least gibt es „Die Nashörner“ von Eugène Ionesco. Inhalt: Es ist Sonntag, fast Mittag, Sommer. Bérenger und sein Freund Jean werden Zeugen eines seltsamen Vorfalls: Ein Nashorn wurde gesichtet! Sollte nun etwas unternommen werden? Nach und nach tauchen immer mehr Rhinozerosse auf, die sich als die Einwohner*innen der Stadt entpuppen. Befallen von einem unerklärlichen Übel regt sich in den Menschen mit ihrer Verwandlung verstärkt der Wunsch, sich willentlich in diese starken, aggressiven und unempfindlichen Dickhäuter zu verwandeln. Die einen entscheiden sich für diese Lebensform, weil sie die rohe Kraft und Einfachheit bewundern, andere denken, man könne die Tiere wieder vermenschlichen, wenn man nur erst gelernt habe, sich in ihre Denkweise hineinzuversetzen. Immer weniger können der Versuchung widerstehen, denselben Weg zu gehen wie alle anderen. Bérenger verteidigt lange seinen Entschluss, die menschliche Gestalt zu behalten, bis auch seine Überzeugungen ins Wanken geraten.

Als sich Ende der 1930er Jahre immer mehr Menschen aus seinem Bekanntenkreis faschistischen Bewegungen anschlossen, schrieb Eugène Ionesco darüber, "was man vielleicht als den Strom der öffentlichen Meinung bezeichnen könnte, das plötzliche Aufkommen einer Meinung, ihre Ansteckungskraft, die der einer echten Epidemie nicht nachsteht." Er sei Zeuge "geistiger Mutation" geworden – bis zu dem Punkt, an dem echte Verständigung unmöglich wurde. Als Meister des Absurden Theaters schrieb Ionesco ein Stück von klugem Wortwitz, das mit dramatischen Konventionen seiner Zeit brach. Anna Marboe bringt den Text neu auf die Bühne und begegnet mit viel Humor und politischer Dringlichkeit den komplexen Fragen nach dem Glauben an die Menschlichkeit, Konformismus und Entmenschlichung.

Foto: THE LOBSTER im Münchner Volkstheater
© Marcella Ruiz Cruz

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