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August Gaul. Moderne Tiere

Ich mache Tiere, weil es mich freut



Als Übertragungswirte globaler Pandemien, Betroffene vom Artensterben oderBeitragende zum Klimawandelrücken Tiere in jüngster Zeit verstärkt in unser Bewusstsein. Diese Aktualität lädt dazu ein, das Werk des Bildhauers August Gaul (1869–1921) unter dem Gesichtspunkt heutiger Debatten neu zu betrachten.

Das Kunstmuseum Bern, das mit der Sammlung Zwillenberg eine der grössten und hochkarätigsten Gaul-Sammlungen verwahrt, widmet dem Wegbereiter der modernen Tierplastik eine Ausstellung, in der sein Werk erstmals kulturhistorisch verortet wird.

Die Ausstellung wird ergänzt durch eine Präsentation der Berner Zunftgesellschaft zum Affen, die 2021 ihr 700-Jahr-Jubiläum feiert. Wir handeln mit Tieren, nehmen sie als Nahrung zu uns, verarbeiten sie zu Kleidungsstücken oder lassen sie als Haustiere teil unserer Familien werden. Die menschliche Kultur und Entwicklung ist ohne Tiere nicht vorstellbar. Eine besondere Zäsur im Mensch-Tier-Verhältnis, die fast alle gesellschaftlichen Bereiche betraf, ereignete sich um 1900:Nutztiere verschwanden aus dem Stadtraum, gleichzeitig zogen Haustiere in bürgerliche Wohnräume ein, die Tierschutz-und Vegetarierbewegungen wurden in Reaktion auf die Industrialisierung der Fleischproduktion und die Einführung des Tierversuchs gegründet.

Infolge der Popularisierung der Evolutionstheorie verbreitete sich die Einsicht in die verwandtschaftliche Nähe von Mensch und Tier. Dass sich diese Verwandtschaft nicht nur äußerlich, sondern auch im Hinblick auf «das Seelische», also im Empfinden und Ausdruck von Emotionen wie Trauer, Freude, Wut oder Angst, manifestierte, erhöhte das Interesse am Tier zusätzlich. Diese verstärkte Auseinandersetzung schlug sich auch in der Kunst nieder. Plötzlich wurde das Tier zum eigenständigen, vollwertigen Motiv jenseits seiner Einbindung in erzählerische oder allegorische Zusammenhänge, wie etwa in der Denkmalplastik.
«Am Zoo-, Zirkus-, Haus-und Nutztier zeigten sich die entscheidenden Umwälzungen der Moderne –der Aufstieg von Bürgertum und Nationalstaat, die Industrialisierung und Verstädterung, die Globalisierung sowie die Etablierung der modernen Naturwissenschaften», erklärt Katharina Lee Chichester, Kuratorin der Ausstellung. «Diesen Entwicklungen verdankt sich der durchschlagende Erfolg August Gauls, der sich um 1900 auf Tierbilder spezialisierte und damit zu einem der bedeutendsten deutschen Bildhauer seiner Zeit avancierte.»

August Gaul: Vom «Modelleur für die Kunstindustrie» zum «animalier»

1888 war der knapp zwanzigjährige Gaulaus Grossauheim bei Frankfurt nach Berlin gezogen, um dort seine Ausbildung zum Bildhauer abzuschließen. Bei einer Verlosung an der Kunstgewerbeschule gewann er eine Dauerkarte für den Zoologischen Garten, wo er von nun an jeden Morgen vor den Käfigen der Tiere zeichnete und modellierte. Als er sich 1899 der im Jahr zuvor gegründeten Berliner Secession anschloss, wurde er auf Anhieb zum Publikumsliebling. Während die Darstellung des menschlichen Körpers an künstlerische Traditionen gebunden war, konnte Gaul am Tiermotiv frei mit Abstraktion und Geometrisierung experimentieren, um so der Plastik den Weg in die Moderne zu weisen. Statt spektakuläre Jagd-und Kampfszenen zu schaffen, zeigte er «das Tier an sich», frei von jeder Vereinnahmung durch den Menschen.
«Ich will gar nicht die Natur pedantisch imitieren, sondern das Typische und ihren seelischen Kern festhalten. Vor allem will ich eine plastische Arbeit machen ... Was mich bei den Tieren anzieht, ist ganz wesentlich künstlerischer Art ... Ich mache Tiere, weil es mich freut.» August Gaul

Der künstlerische Durchbruch gelang Gaul auf der dritten Ausstellung der Berliner Secession 1901 mit seiner Großen stehenden Löwin, einer damals unerhörten Variation auf das Motiv des machtsymbolisch-imperial aufgeladenen männlichen Löwen. Zu den Tierplastiken, insbesondere den sogenannt «exotischen», aus damaligen Kolonialgebieten stammenden Tieren wie Löwen, Straussen, Elefanten, Orang-Utans oder dem Tapir, entwickelte das Publikum ein besonderes, fast zärtliches Verhältnis. Der Sitzende Junge Löwe etwa wurde als Dusselchen bekannt. Auch wenn Gaul nicht als «Kolonialkünstler» im engeren Sinne bezeichnet werden kann, sind seine scheinbar autonomen Tierplastiken nicht frei von kolonialem Kontext.

«Exotische» Tiere wurden in Zooführern seiner Zeit stolz als Geschenke von Kolonialbeamten und besiegten Widerstandskämpfern ausgewiesen und auf Völkerschauen vorgeführt; Sammler beauftragten Plastiken von Löwen, Elefanten oder Kasuaren (flugunfähiger Laufvogel aus Neuguinea) als Zeichen ihrer globalen Handelsbeziehungen. Vor den Käfigen im Zoo, dessen orientalisierende Stilarchitekturen allein auf die Schaulust des Publikums ausgerichtet waren und keineswegs an den Bedürfnissen der Tiere, kann der Künstler deren viel beschworene «natürliche Erscheinung» und «charakteristische Existenz» kaum beobachtet haben.

Auch wenn Gauls Darstellungen «exotischer» Tiere das propagandistische Pathos zeitgenössischer Kolonialkünstler fehlt, so waren seine Bilder dennoch eingebettet in eine aus heutiger Sicht problematische visuelle Kultur, die das vermeintlich «Wilde» und «Primitive» als Gegenbild konstruierte zum eigenen, das damit als «zivilisiert» und «kultiviert» ausgewiesen werden sollte. Neben seiner Beschäftigung mit «exotischen» Tieren setzte sich Gaul auch mit domestizierten Tieren auseinander. Diese Auseinandersetzung fällt in den Kontext der Emotionalisierung des Verhältnisses zum Tier als Haustier bei gleichzeitiger Entfremdung von Nutz-und Wildtieren. Traten Rinder, Schafe und Schweine nur mehr als Ware in der Fleischtheke in Erscheinung, wurden für Hunde Stammbücher eingeführt und Erziehungsratgeber verlegt.

Tiergeschichten und Tierspielzeug gewannen an Popularität, ebenso wie das um 1900 erfundene Kuscheltier. So finden sich im Gaul’schen Universum neben Löwen und Straussen auch Katze, Hamster und der familieneigene Esel Fritze.

Zur Ausstellung


Als «animalier» erhielt Gaul weitaus weniger Anerkennung in der Kunstgeschichte als etwa seine Weggefährten in der Berliner Secession Max Liebermann, Käthe Kollwitz, Max Slevogt oder Lovis Corinth.
«Mit August Gaul. Moderne Tiere nehmen wir den Versuch vor, das Werk des Bildhauers August Gaul erstmalig kulturhistorisch zu kontextualisieren. Indem wir zudem an aktuelle Diskurse anknüpfen werfen wir ein neues Licht auf das vielseitige Œuvre und diskutieren, wie uns die damaligen Entwicklungen noch heute, insbesondere im Hinblick auf ein ethisch vertretbares Zusammenleben von Mensch und Tier, betreffen», so Nina Zimmer, Direktorin Kunstmuseum Bern –Zentrum Paul Klee.

Die Ausstellungist in sieben Kapitel gegliedert, welche verschiedene Aspekte des Mensch-Tier-Verhältnisses um 1900 aufgreifen. Die Themen reichen von der Gründung zoologischer Gärten und Naturkundemuseen als Abbilder der wissenschaftlichen Neuordnung und modernen Bezwingung der Natur über die Einführung des bürgerlichen Haustiers und die gleichzeitig einsetzenden Tierschutz-und Vegetarierbewegungen, die Popularisierung der Evolutionstheorie und die damit einhergehende Wahrnehmung von Tieren als intelligente und fühlende Wesen bis hin zu Verhaltensforschung und Biotechnik. Die Ausstellungfragt danach, wie sich die grundlegenden Veränderungen im Mensch-Tier-Verhältnis auf die Entstehung und Rezeption von Gauls Werk ausgewirkt haben und verknüpft diese Inhalte mit aktuellen Diskursen. Plastiken, Zeichnungen und Grafiken August Gauls werden neben künstlerischen Werken seiner Zeit sowie Objekten der Wissenschaftsgeschichte und Populärkultur gezeigt.

Ein Kapitel untersucht, inwiefern die zunehmende Präsenz «exotischer» Tiere in Europa mit dem Kolonialismus und der dabei instrumentalisierten Rassentheorie zusammenhing. Während sich Secessionskünstler wie Max Slevogt, Emil Nolde und Max Pechstein den vermeintlich von den Deformationen moderner Zivilisation unberührten Körpern sogenannter «Naturvölker» zuwandten, blickte Gaul auf das Tier als «unverdorbene», «authentische» Existenz. Menschliche und tierliche Körper wurden so zu Trägern politischer, kolonialer und exotisierender Botschaften. Diesem Kapitel kommt eine besondere Sensibilität zu, da es koloniale Gewaltzusammenhänge und Rassismen zeigt.

Mittels einer Kommentarebene sowie eines kritischen Rahmenprogramms wird der Versuch unternommen, diese Bilder in ihrer Konstruktion von Differenz und Hierarchie zu entlarven und so ihre anhaltende, machtvolle Wirkung auf unser Denken und Selbstverständnis zu diskutieren. Einen sensiblen Umgang zu finden, der gewaltvolle Geschichte sichtbar macht und die Macht der Bilder durch Aufklärung distanziert, ohne Verletzungen und Entwürdigungen zu wiederholen, bleibt jedoch ein unabgeschlossener Lernprozess. Das Ausstellungskapitel wurde in engem Dialog mit Expert:innen für Kolonialgeschichte und postkoloniale Theorie sowie mit Antirassismus-Aktivist:innen entwickelt. Der beschrittene Weg ist einer von vielen möglichen im Sinne eines Work in Progress.

 


Veröffentlicht am: 04.05.2021

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