
Waschgel,  Make-up, Lippenpflege – viele Produkte, die täglich in unseren  Badezimmern stehen, enthalten winzige Kunststoffpartikel, die mit jedem  Abwaschen im Abfluss verschwinden. Was harmlos klingt, hat massive  Folgen: Mikroplastik gelangt so in Böden, Gewässer und schließlich in  unseren Körper. 
Mit der neuen EU-Verordnung soll damit nun  Schluss sein. Schritt für Schritt wird der Einsatz absichtlich  zugesetzter Mikroplastikpartikel verboten – ein längst überfälliger  Schritt für Umwelt und Gesundheit, aber auch ein Wendepunkt für die  gesamte Kosmetikindustrie. Rolf Stehr, Founder und Creative Director von  Stehr Cosmetics, erklärt, was die Regelung konkret bedeutet, spricht  über die Hintergründe, Chancen und Herausforderungen dieser Umstellung –  und darüber, worauf Verbraucher und Verbraucherinnen künftig achten  sollten.
Was genau regelt die neue EU-Verordnung zu Mikroplastik und warum ist sie so bedeutend?
Rolf Stehr:
Die  Verordnung ist Teil der europäischen Chemikaliengesetzgebung (REACH)  und soll verhindern, dass Mikroplastik absichtlich in Produkte  eingebracht wird, aus denen es später in die Umwelt gelangt.  Entscheidend ist: Immer dann, wenn Mikroplastik als Partikel zugesetzt  wird und beim Gebrauch freigesetzt werden kann, darf es künftig nicht  mehr verwendet werden.
Für Verbraucher und Verbraucherinnen  bedeutet das: Künstliche Mikroplastikpartikel – also winzige  Kunststoffkügelchen oder -fragmente, die sich nicht biologisch abbauen –  sollen Schritt für Schritt aus Alltagsprodukten verschwinden. Die  Verordnung schreibt zudem Melde- und Kennzeichnungspflichten vor, die  deutlich mehr Transparenz darüber schaffen sollen, in welchen Produkten  Mikroplastik enthalten ist. Kurz gesagt: Ziel ist es, die  Umweltbelastung deutlich zu reduzieren und gleichzeitig Innovationen für  nachhaltige Alternativen zu fördern.
Was steckt hinter dem Begriff Mikroplastik und warum ist es für Kosmetik, Umwelt und Gesundheit so brisant?
Rolf Stehr:
Mikroplastik  bezeichnet winzige Kunststoffpartikel, meist kleiner als fünf  Millimeter, die gezielt Kosmetikprodukten zugesetzt oder beim Zerfall  größerer Kunststoffe freigesetzt werden. In der Beautyindustrie sorgen  sie für glatte Texturen, wirken als Schleifkörper in Peelings oder  stabilisieren Formulierungen. Das Problem: Diese Partikel verschwinden  nicht. Sie gelangen über das Abwasser in Flüsse und Meere, lagern dort  Schadstoffe an und werden von Fischen und anderen Lebewesen aufgenommen.  Auf diese Weise finden sie sich am Ende auch in unserer Nahrungskette  wieder. Studien haben Mikroplastik bereits in Trinkwasser, Honig und  sogar im menschlichen Blut nachgewiesen. Dass ein Produkt, das wir uns  täglich auf die Haut auftragen, später als Plastikfragment im Organismus  eines Meerestiers oder in unserem eigenen Körper landen kann,  verdeutlicht die Tragweite. Echte Verantwortung in der Kosmetik zeigt  sich nicht im Design, sondern in den Inhaltsstoffen. Deshalb setzen wir  schon seit Jahren konsequent auf mikroplastikfreie Formulierungen.
Welche Produktgruppen sind von der neuen EU-Verordnung betroffen und in welchem Zeitraum treten die Verbote in Kraft?
Rolf Stehr:
Die  Verordnung ist bereits in Kraft, aber sie greift in mehreren Stufen, um  der Industrie Zeit für die Umstellung zu geben. Einige Produkte sind  schon heute betroffen: Lose Mikroperlen, Glitterpulver und Glanzgele  sind seit 2023 verboten, sofern sie nicht biologisch abbaubar sind.
Bei klassischen Pflegeprodukten erfolgt der Ausstieg gestaffelt:
-  „Rinse-off“-Kosmetika, also abwaschbare Produkte wie Peelings,  Duschgele, Shampoos oder Conditioner müssen bis Oktober 2027 ohne  Mikroplastik auskommen. Das betrifft vor allem funktionale  Polymerpartikel – winzige Kunststoffbestandteile, die Konsistenz und  Fließeigenschaften steuern.
- „Leave-on“-Kosmetika, die auf der Haut  den Lippen oder im Haar verbleiben, wie Cremes, Lotionen, Seren,  Sonnenschutz oder Haarstyling-Produkte dürfen ab Oktober 2029 keine  nicht abbaubaren Mikroplastikpartikel mehr enthalten.
- Dekorative Kosmetik wie Lidschatten, Rouge, Puder oder Foundation fällt ebenfalls unter diese Frist (bis 2029).
-  Für besonders komplexe Produktgruppen wie Lippenstifte, Lipgloss,  Nagellack oder Glitter-Make-up gilt eine längere Übergangsfrist bis  Oktober 2035, da die Entwicklung geeigneter Ersatzmaterialien hier  technisch anspruchsvoller ist.
- Bei Mikrokapseln in Duft- oder  Parfümsystemen endet die Übergangsfrist spätestens 2031, danach dürfen  nur noch biologisch abbaubare Alternativen verwendet werden.
Viele  Hersteller – auch wir – gehen diesen Schritt jedoch schon früher, weil  nachhaltige Rezepturen längst keine Marketingfrage mehr sind, sondern  eine zentrale Erwartung der Kundinnen.
Lange Übergangsfristen sorgen für Kritik – ist sie berechtigt?
Rolf Stehr:
Diese  Kritik ist nachvollziehbar, und sie ist nicht unberechtigt.  Gleichzeitig muss man bedenken, dass Mikroplastik in vielen  Formulierungen nicht einfach ein „Zusatz“ ist, sondern eine funktionale  Rolle spielt – etwa für Textur, Stabilität oder Haltbarkeit.  Ersatzstoffe zu entwickeln, die dieselbe Performance bieten und  gleichzeitig biologisch abbaubar sind, ist komplexe Forschungsarbeit.  Die Übergangsfristen geben uns Raum, diese Innovationen sicher und  effektiv umzusetzen. Entscheidend ist: Wir nutzen diese Zeit nicht, um  abzuwarten, sondern um aktiv neue Standards zu setzen. Damit zeigen wir,  dass Mikroplastikfreiheit längst möglich ist, wenn man sie wirklich  will.
Funktionieren nachhaltige Alternativen genauso gut wie klassische Inhaltsstoffe?
Rolf Stehr:
Ja,  und das sogar mit positiven Effekten. Heute stehen eine Vielzahl  biologisch abbaubarer Alternativen zur Verfügung – zum Beispiel aus  Cellulose, Zucker oder Silica –, die Mikroplastik technisch ersetzen  können. In manchen Fällen bringen sie sogar zusätzliche Vorteile, etwa  ein natürlicheres Hautgefühl, eine verbesserte Verträglichkeit oder ein  umweltfreundlicheres Produktionsverfahren. Ein anschauliches Beispiel  sind Peelings: Früher enthielten sie häufig winzige Kunststoffkügelchen,  heute übernehmen fein gemahlene Aprikosenkerne, Salz oder Zucker diese  Funktion – mit demselben Effekt, aber ohne ökologische Risiken. Wichtig  ist, dass Forschung und Entwicklung konsequent weitergehen und  Nachhaltigkeit von Anfang an in die Produktkonzeption integriert wird.  Dann müssen keine Kompromisse gemacht werden – weder bei der Wirksamkeit  noch bei der Umweltverträglichkeit.
Woran lässt sich erkennen, ob ein Produkt wirklich mikroplastikfrei ist und worauf sollte man beim Einkauf achten?
Rolf Stehr:
Ein  genauer Blick auf die Inhaltsstoffliste ist der wichtigste Schritt.  Begriffe wie Polyethylene, Polypropylene oder Acrylates Copolymer deuten  auf Mikroplastik hin. Viele Marken kennzeichnen mikroplastikfreie  Produkte inzwischen deutlich auf der Verpackung, und auch  Zertifizierungen oder Nachhaltigkeitslabels können eine gute  Orientierung bieten. Darüber hinaus spielt Social Media eine immer  größere Rolle: Hier zeigen zahlreiche Nachhaltigkeits-Influencerinnen  und Beauty-Expertinnen, woran sich problematische Inhaltsstoffe erkennen  lassen und welche Alternativen empfehlenswert sind. Diese Form von  Aufklärung hilft, sich im Produktdschungel besser zurechtzufinden und  bewusster einzukaufen.
Und nicht zuletzt gilt: Je stärker der  Wunsch nach mikroplastikfreier Kosmetik artikuliert wird, desto größer  ist der Druck auf die Branche, ihre Verantwortung wahrzunehmen und  nachhaltige Lösungen konsequent umzusetzen.
Foto: Pixabay
Mikroplastik hat in moderner Kosmetik keine Zukunft
Ein Gespräch mit Rolf Stehr, Founder und Creative Director von Stehr Cosmetics
Veröffentlicht am: 01.11.2025
Ausdrucken: Artikel drucken
Lesenzeichen: Lesezeichen speichern
Feedback: Mit uns Kontakt aufnehmen
Twitter: Folge uns auf Twitter
Facebook: Teile diesen Beitrag auf Facebook
Hoch: Hoch zum Seitenanfang




