Sei ein Mann, nimm Hilfe an

Ein Betroffener berichtet aus seinem Leben mit Migräne



Migräne  ist  eine  ernstzunehmende  neurologische  Erkrankung.  Betroffene  leiden  nicht  nur unter starken Kopfschmerzen und anderen Begleiterscheinungen, sondern werden extrem in ihrem  Alltag  eingeschränkt.  Frauen  sind  dabei  zwar  häufiger  betroffen,  aber  auch  Männer kann es treffen. Wie ist es also für Männer, mit dieser ,Frauen-Krankheit‘ umzugehen?

 
Mehmet  Ç.  ist  verheiratet,  zweifacher  Vater  und  geht  in  seiner  Leitungsfunktion  in  der Telekommunikationsbranche auf. Dabei leidet der 42-Jährige bereits seit seiner Kindheit unter Migräne. „Schon als Junge klagte ich oft über Kopfschmerzen. Besonders traurig war für mich, dass ich mein liebstes Hobby aufgeben musste: Kampfsport“, erinnert sich Mehmet. Und auch im  Job  musste  er  sich  deswegen  häufiger  krankschreiben  lassen.  Früher  kam  es  vor,  dass Mehmet bis zu 20 Migräneattacken im Monat durchleben musste.  
 
Migräne ist sehr vielfältig, die Auslöser sind bei jedem Menschen individuell verschieden. Bei Mehmet  kündigen  sich  die  Schmerzattacken  häufig  mit  Wortfindungsstörungen  und  Druck bzw. Stechen im Nacken an. Er hat gelernt, genau zu wissen, was seine Krankheit positiv, aber auch negativ beeinflusst: „Wenn ich sehr viel Stress habe oder zu wenig schlafe, merke ich, dass  mir  das  nicht  guttut.  Auch  wenn  ich  zu  wenig  esse  oder  trinke,  kann das  bei  mir  eine Attacke auslösen“, erklärt er.  
 
Privat hat der gelernte Vertriebscoach noch keine schlechten Erfahrungen machen müssen, was seine besondere Erkrankung angeht. Vor allem bei seiner Familie stößt er auf Verständnis und große Unterstützung.  
 
Migräne und Männlichkeit – Kein Widerspruch

Es ist generell bekannt, dass Migräne mehr Frauen als Männer betrifft. Ist es für Männer daher immer noch schwer(er), sich als Migräniker zu „outen“? Dazu meint Mehmet: „Ich glaube, es
liegt auch immer daran, wie man selbst auftritt. Ein offener und selbstbewusster Umgang mit der  Thematik  erleichtert  Betroffenen  unabhängig  vom  Geschlecht  sicherlich einiges.“
  Ausreden  zu  erfinden  oder  die  Krankheit  zu  verschweigen,  führt  aber  definitiv  zu nichts,  außer  zu  Stress  und  Spannungen.  Das  alleine  kann  wiederrum  zu  Migräneattacken führen – ist also keine Lösung. Trotzdem weiß Mehmet auch, dass es einiges an Mut erfordert, und möchte andere Männer darin bestärken, offen mit ihrer Migräne umzugehen.  
 
Neue Therapie brachte Erleichterung

Im Sommer 2019 startete seine Neurologin bei ihm eine neue Behandlung, die sogenannte Migränespritze,  eine  Antikörper-Therapie.  Ein  echter  Life-Changer!  „Die  Veränderung  war
wirklich phänomenal und damit übertreibe ich nicht. Schon nach den ersten Spritzen stellte sich  bei  mir  eine  Besserung  ein“,  erzählt  Mehmet.  Die  ersten  fünf  Spritzen  der Antikörpertherapie wurden ihm in der neurologischen Praxis verabreicht, danach konnte er sich das Mittel selbst spritzen - ähnlich wie bei Diabetes.

Unter dieser Therapie haben seine Schmerzen stark abgenommen. Der Druck und das Stechen im Nacken sowie die Sprachstörungen sind zwar noch da, aber die unerträglichen Schmerzen werden  eingedämmt.  Auch  die  Zahl  der  Tage,  an  denen  er  Attacken  hat,  ist  deutlich zurückgegangen. Nun bekommt er nur noch circa sechs bis acht Attacken im Monat. „Das ist für mich eine deutliche Erleichterung“, berichtet Mehmet. Männer leiden nicht?

Von wegen Weichei – um diese extremen Schmerzen durchzustehen, muss man schon „ein ganzer Kerl“ sein, egal welchen Geschlechts. „Ich bin generell ein sehr offener Mensch und habe persönlich keine Probleme, darüber zu reden. Ich stehe zu der Migräne“, sagt Mehmet. „Auch anderen Betroffenen rate ich dazu, offen mit der Erkrankung umzugehen. Migräne ist nämlich eine ernstzunehmende Erkrankung, die man anerkennen sollte. Auch Männer dürfen Hilfe annehmen und offensiv nach Unterstützung fragen. Jeder Schritt, den man nach vorne geht, kann der richtige sein.“  
 
Was sagt die Neurologin?



Dr. med. Astrid Gendolla, Fachärztin für Neurologie mit der Zusatzqualifikation Spezielle Schmerztherapie und Psychotherapie mit eigener Praxis in Essen.  
 
Zeigt sich Migräne bei Männern anders als bei Frauen?  
Dr. med. Astrid Gendolla:
Nein.  Generell  sind  die  Symptome  (wie  sich bewegungsabhängig  verschlechternder Kopfschmerz) und fakultativ die Begleitsymptome bei Männern und Frauen gleich.
 
Scheuen sich Männer eher davor, wegen Migräne ärztliche Hilfe zu suchen?   
Dr. med. Astrid Gendolla:„Es  gibt  genderspezifische  Unterschiede,  inwieweit  Ärzte konsultiert  werden.  Generell wird  Migräne  immer  noch  als  ,Frauenkrankheit‘  wahrgenommen  -  das  Geschlechter-verhältnis  ist  hier  1:3,   so  dass  auch  epidemiologische  Daten  diese  These   stützen.  In Familien haben ja auch häufiger Mütter Migräne, so dass die familiäre Zuschreibung eher auf Frauen gemünzt ist... Wenn Männer samstags mit Kopfschmerzen aufwachen, denken sie  erst  mal  an  den  vergangenen  Abend  als  Ursache  und  weniger  an  eine  „echte“ Migräne. Aber  -  auch  umgekehrt  denken  sicher  manche  Ärzte  nicht  an  die  Diagnose „Migräne“, wenn ein Mann sich bei ihnen als Patient mit Kopfschmerzen vorstellt.

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