Wer Mikrobiom hört, denkt oft zuerst an den Darm. Doch das Mikrobiom umfasst weit mehr – nämlich die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die die Oberflächen des menschlichen Körpers besiedeln. Ob Haut, Lunge oder Verdauungsorgane, Mund, Rachen, Nase oder Genitaltrakt: Überall finden sich Kleinstlebewesen wie Bakterien, Viren und Pilze.
Stimmt ihre Zusammensetzung, profitiert der Mensch davon. Doch was ist das ideale Mikrobiom? Und welchen Einfluss haben Trillionen unsichtbarer Lebewesen auf die Gesundheit und auf Krankheitsprozesse? Dies untersucht künftig eine neue Einrichtung des Uniklinikums Erlangen: die Mikrobiomische Abteilung unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan P. Rosshart.
„Der Mensch ist wie Planet Erde für unzählige Mikroorganismen. Sie bewohnen und sie brauchen ihn als Wirt“, erklärt Stephan Rosshart. Andersherum sind auch die Kleinstlebewesen enorm nützlich für den Menschen: Sie schützen ihn etwa vor Krankheitserregern, unterstützen seine Immunabwehr, verdauen, was er selbst nicht verdauen kann, oder produzieren wichtige Nährstoffe. „Das Mikrobiom ist an fast allen physiologischen Prozessen und damit de facto auch an nahezu allen Krankheiten beteiligt“, sagt Prof. Rosshart. „Für viele Erkrankungen ist sein Einfluss bereits belegt – etwa für entzündliche oder degenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Multiple Sklerose und Alzheimer. Wir wissen, dass die Darm-Hirn-Achse existiert und dass im Darm mikrobielle Stoffe, zum Beispiel sogenannte Metabolite, produziert werden, die Entzündungen eindämmen. Auch bei Krebs, Allergien, Autoimmunerkrankungen und bei Infektionserkrankungen wie Influenza oder einer Sepsis spielen Mikroorganismen eine entscheidende Rolle.“ Kurz gesagt: Überall, wo Entzündungen auftreten und wo das Immunsystem auf den Plan gerufen wird, hat auch das Mikrobiom seinen Anteil.
Die Mikrobiomforschung ist noch jung. Die Wechselwirkungen und das optimale Gleichgewicht zwischen Mikroorganismen und Wirt sind deshalb erst in Ansätzen verstanden. So wurde beispielsweise bis heute kein abschließender wissenschaftlicher Beleg für die populäre Hygienehypothese gefunden: Diese geht, vereinfacht gesprochen, davon aus, dass das Risiko für Allergien oder Autoimmunerkrankungen steigt, je „sauberer“ (steriler) eine Gesellschaft ist, und dass es sinkt, je „dreckiger“ Kinder aufwachsen. „So einfach ist das aber ganz sicher nicht“, betont Prof. Rosshart. „Wir müssen vielmehr von einem multifaktoriellen Geschehen ausgehen und viele verschiedene Umwelteinflüsse berücksichtigen – etwa unsere industriell hergestellte Nahrung, die Materialien in unseren Wohnräumen, die Zusammensetzung der Luft, das Klima, die Mikroorganismen, mit denen wir in Kontakt kommen, und viele mehr. Und dann bleibt die Frage, wie das alles mit unserem eigenen Mikrobiom interagiert.“
Wenig aus dem Bereich der Mikrobiomik wird bislang therapeutisch angewendet. Ein Beispiel ist die Stuhltransplantation: Dabei wird der Stuhl einer gesunden Spenderin oder eines gesunden Spenders in den Darm einer anderen Person übertragen, die sich schwer mit dem Bakterium Clostridium difficile infiziert hat und bei der gängige Medikamente versagen. Die gesunde Bakterienzusammensetzung der Spenderin oder des Spenders soll in diesem Fall zur Heilung des geschädigten Darms beitragen. Deshalb ist es das Ziel der neuen Erlanger Abteilung, das Mikrobiom und seine optimale Beschaffenheit zu verstehen und daraus potenzielle Therapien für den Menschen abzuleiten.
Kollaborativer Ansatz
Stephan Rosshart, der im Januar 2023 vom Universitätsklinikum Freiburg nach Erlangen wechselte, will seine neue Forschungsabteilung auf Zusammenarbeit aufbauen und u. a. eng mit den Bereichen Mikrobiologie, Virologie, Immunologie, Rheumatologie, Tumorforschung, Gastroenterologie und Molekulare Neurologie kooperieren. „Ich möchte mich in der Grundlagenforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg engagieren, aber gemäß dem translationalen Ansatz ,from bench to bedside‘ auch klinische Studien mit Patientinnen und Patienten am Uniklinikum Erlangen realisieren – zum Beispiel mit Menschen, die unter hartnäckigen, wiederkehrenden Bakterien- oder Pilzinfektionen leiden“, erklärt er.
Prof. Rosshart arbeitet mit sogenannten „Wildlingen“ – Labormäusen, denen die natürlichen Mikroorganismen von Wildmäusen übertragen wurden. „Um unsere Forschungsergebnisse auf den Menschen übertragen zu können, brauchen wir einen geeigneten Modellorganismus. Das kann bei einigen unserer komplexen Fragestellungen weder die Petrischale noch eine konventionelle Labormaus sein, denn Labormäuse leben unter sehr sauberen Bedingungen, haben kaum Kontakt zu Mikroorganismen und infolgedessen ein relativ unreifes Immunsystem. Wir Menschen hingegen leben in einer unsterilen Welt, sind im täglichen Kontakt mit Mikroorganismen und haben daher ein reifes Immunsystem“, erläutert der Forscher. „Wenn wir also untersuchen wollen, wie das Mikrobiom die Immunantwort, Entzündungen, Krebs, Allergien und andere Krankheitsprozesse beeinflusst, brauchen wir ein Modell mit mikrobieller Erfahrung und reifem Immunsystem, so wie es der Mensch und die Wildmaus haben. Genau dies erreichen wir durch die Übertragung von Mikroorganismen von Wild- auf Labormäuse.“ Ersten Studien von Prof. Rosshart zufolge sind Wildlinge dem Menschen tatsächlich näher als herkömmliche Labormäuse. Dementsprechend haben sie für zahlreiche Fragestellungen eine höhere Vorhersagekraft für humane physiologische Prozesse.
„Wir sind Planet Erde für Mikroorganismen“
Uniklinikum Erlangen mit neuer Mikrobiomischer Abteilung
Veröffentlicht am {DATE:d.M.Y : DE} unter dieser Internetadresse: http://www.genussmaenner.de/index.php?aid=77903