Alle Jahre wieder bieten wir Ihnen in Zusammenarbeit mit dem Zeitgut-Verlag auch diesmal stimmungsvolle Weihnachtsgeschichten. Lebendige Originalfotos und Illustrationen runden diese ergreifenden Geschichten aus der Buchreihe "Unvergessene Weihnachten" ab.
(Badersleben, Gemeinde Huy, im Harzvorland, Sachsen-Anhalt; 1938)
Es war Heiligabend 1938, wir wohnten in Badersleben im Wietholz. Die Bescherung war vorüber. Ich wollte in der Nachbarschaft meinen Freund und Spielkameraden Hilmar Osteroth besuchen und ihm erzählen, was der Weihnachtsmann mir unter den Christbaum gelegt hatte.
Leider war die Hoftür verschlossen. Die Familie saß wohl in der „guten Stube“ und freute sich über das Weihnachtsfest. Später hörte ich, er habe eine Laterna Magica*) bekommen. Wie oft haben wir dann zusammengesessen und uns die bunten Bilder von „Robinson Crusoe“, „Max und Moritz“ und der anderen Geschichten damit angesehen!
Ich stand also draußen vor der Tür, es war ein Bilderbuch-Heiligabend: Der Schnee fiel langsam hernieder, schon bedeckte er fast fußhoch Weg und Steg; die Straßenlaterne hatte eine weiße Haube und unsere Schlittenbahn am Berg war zugeschneit. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, ringsum alles ruhig – eine stille Nacht ganz wie in dem bekannten Weihnachtslied. Da hörte ich von weitem das Klingeln von einem Pferdeschlitten. Es kam näher – und richtig, auf der Straße vom Ort her sah ich zwei Lichter aufscheinen. Ich habe wohl wie gebannt am Straßenrand gestanden und nach dem Gefährt gesehen, das nun herankam: zwei Pferde, ein großer Schlitten, rechts und links Lampen, hinten auf den Sitzen vollgestopfte Säcke, und auf dem Bock saß er, es konnte kein anderer sein, der Weihnachtsmann!
In Sekundenschnelle war er an mir vorbeigefahren, der Schnee stiebte hinter ihm. Eine Weile sah ich noch die Lichter und hörte das Schellengeläut, schließlich verschwand die Erscheinung Richtung Spring-Kuhberg.
Ich weiß nicht mehr, wie schnell ich wieder ins Haus kam. Die Eltern wunderten sich, daß ich den ganzen Abend so still war, doch ich behielt mein Erlebnis für mich, sie hätten ja doch bloß mit dem Kopf geschüttelt.
Am nächsten Tag erzählte ich meinem Vetter Hans, was mir der Weihnachtsmann an Spielzeug gebracht hatte. Der tippte sich aber nur vor den Kopf und sagte: „Hör auf mit deinem Weihnachtsmann! Den hat es nie gegeben und wird es auch nicht geben!“ Ich wußte es aber besser, denn ich hatte ihn ja wirklich gesehen!
Wohl dreißig Jahre später, ich war zu Besuch in Badersleben, saß ich mit dem Bauern Rudolf Lohse zusammen. Er, ein passionierter Jäger, kam ins Plaudern und schwärmte von den guten alten Zeiten mit ihren Treibjagden, den vielen Hasen und Rehen, die es damals noch gab. Aber, so sagte er mir, er habe auch in strengen Wintern dafür gesorgt, daß die Waldtiere nicht hungern mußten, vor allem das Rotwild. Eine besondere Freude war es ihm aber, am Heiligen Abend mit dem Schlitten Heu und Rüben zur Wildfütterung zu bringen und damit seinen Schützlingen im Wald eine Weihnachtsbescherung zu bereiten. Da hatte ich meinen Weihnachtsmann!
Ich war gar nicht so glücklich zu wissen, wer da damals an mir vorbeigerauscht war!
*) Früher Vorläufer des Diaprojektors, jedoch ausschließlich als Spielzeug verwandt. In eine Halterung wurden längliche Glasscheiben geschoben, auf die vier bis sechs Bilder gemalt waren, die dann vergrößert auf der Projektionsfläche – meist einfach auf einer Wand – erschienen.
Unvergessene Weihnachten Band 6
Zeitgut Verlag Berlin
Preis: 8,90 Euro
ISBN: 978-3-86614-165-0
Zeitgut-Weihnachtsgeschichte: Der Weihnachtsmannschlitten
... von Horst Winkler
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