
(von Barbara Driessen, Ede) Am Rand der Veluwe schwirren Drohnen durch gläserne Gewächshäuser, Roboterarme greifen nach Tomaten, und im Labor nebenan wächst das Fleisch der Zukunft: In Ede, dem Herz des niederländischen Foodvalley, entsteht ein Ort, an dem Ernährung, Technik und Natur eine neue Allianz eingehen. Hier, wo Forschungslabore und Bauernhöfe Tür an Tür liegen, arbeitet eine ganze Region an der Frage, wie die Welt von morgen auf gesunde Weise satt werden kann.
„Wir produzieren hier gesunde, sichere und nachhaltige Lebensmittel, für heutige und kommende Generationen“, heißt es in der Regionalstrategie. Dabei spielt die Nähe zur Wageningen University & Research, einer der führenden Agraruniversitäten der Welt, eine zentrale Rolle. Rund um sie hat sich ein Ökosystem gebildet, das Wissenschaft, Start-ups und Industrie in einem Radius von wenigen Kilometern zusammenführt, mit Ede als pulsierendem Zentrum.
Forschung trifft Praxis
Mit Initiativen wie dem World Food Center, dem Food Innovation District und dem entstehenden Food Innovation Park wächst hier ein Netzwerk, das Lebensmittelproduktion, Forschung und Unternehmertum auf völlig neue Weise verbindet. Die Region investiert nicht nur in nachhaltige Technologien, sondern auch in Lebensqualität: Bis 2040 soll die Bevölkerung auf eine halbe Million Menschen anwachsen, begleitet von neuen Wohnräumen, Energieprojekten und nachhaltiger Infrastruktur.
Einer der zentralen Akteure in diesem Netzwerk ist NIZO Food Research. Das Unternehmen betreibt in Ede Europas größte unabhängige Lebensmittelforschungsanlage. Hier werden alternative Proteine entwickelt, Produktionsverfahren optimiert und gesundheitliche Wirkungen neuer Lebensmittel erforscht. CEO Nikolaas Vles bringt es auf den Punkt: „Unsere Vision ist es, gesunde und nachhaltige Nahrungsmittel weltweit verfügbar zu machen, indem wir Wissenschaft in praktische Innovationen für die Lebensmittelindustrie übersetzen.“
Drohnen als neue Augen im Gewächshaus
Nur wenige Schritte entfernt, in einem hellen Hangar auf dem Gelände des World Food Centers, hebt die nächste Generation der Landwirtschaft ab: Das Startup Corvus Drones entwickelt autonome Flugroboter, die eigenständig durch Gewächshäuser navigieren. Ihr Ziel: jede Pflanze individuell zu erfassen, ihren Zustand zu messen und frühzeitig Anzeichen von Krankheiten zu erkennen. „Die Digitalisierung des Pflanzenwachstums ist faszinierend, wegen der Vielfalt der Natur und des enormen Einflusses, den unsere Technologie auf Züchter und den Planeten hat“, sagt Mitgründer Frans-Peter Dechering.
Was vor wenigen Jahren noch Zukunftsmusik war, ist in Ede bereits Alltag: Auf den Bildschirmen der GärtnerInnen erscheinen farbige Karten, die jede Tomatenreihe dokumentieren. Ein Mausklick genügt, um Blattverfärbungen, Pilzbefall oder Wachstumsabweichungen zu erkennen, in Echtzeit und mit verblüffender Präzision.
Die Idee ist ebenso simpel wie revolutionär: automatisierte Beobachtung statt Bauchgefühl. „Unsere Drohnen sind die neuen Augen im Gewächshaus“, erklärt Dechering in einer Audiobotschaft. „Sie sehen mehr, sie sehen früher und sie helfen den Pflanzen, besser zu wachsen.“
Wenn Pflanzen zum Roboter kommen
Gleich nebenan arbeitet SAIA Agrobotics an einer weiteren Vision: der vollständigen Automatisierung der Ernte. Hier fliegen keine Drohnen, sondern die Pflanzen selbst. Gründer Ruud Barth hatte die Idee, den Prozess umzudrehen: „Wir bringen nicht den Roboter zur Pflanze – wir bringen die Pflanze zum Roboter.“ In den SAIA-Gewächshäusern wachsen Tomaten nicht mehr als lange, unübersichtliche Ranken, sondern als kompakte, mobile Pflanzen. Sie können sich bewegen, werden von einer künstlichen Intelligenz gescannt und anschließend von einem Roboter geerntet: präzise, schnell und ohne menschliche Arbeit.
„Jeder will Gewächshäuser, aber niemand findet das Personal“, sagt Barth. „Wir glauben, dass unsere vollautomatische Lösung diesen Markt verändern wird, und es möglich macht, überall auf der Welt Nahrungsmittel anzubauen.“ Diese neue Form des „Greenhouse Farming“ könnte ein Schlüssel gegen Arbeitskräftemangel, Ressourcenverschwendung und Klimafolgen sein. Und sie zeigt, wie eng in Ede Forschung und Praxis ineinandergreifen.
Ein Schaufenster für die Welt
Wer sehen will, wie all diese Innovationen zusammenfinden, besucht FoodX, das Schaufenster der Region. Die Plattform im World Food Center bringt Start-ups, Konzerne und Forscher aus aller Welt an einen Tisch. Besucherprogramme wie die „Food-X Experience“ führen Delegationen aus Schweden, Kolumbien oder Spanien durch Labore, Versuchsfarmen und Innovationszentren. „Im Herzen des Foodvalley gelegen“, heißt es dort, „bietet FoodX eine inspirierende Kulisse für Begegnungen, Gespräche und Kooperationen.“
So entsteht ein Ökosystem, das weit über die Landesgrenzen hinausstrahlt: eine Region, in der Hightech, Nachhaltigkeit und gemeinschaftliches Denken keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig antreiben. Drohnen, Roboter, Pilotfabriken und Laboratorien formen hier eine Landschaft, in der Zukunft zur täglichen Praxis wird. Und wenn Frans-Peter Dechering über seine Drohnen spricht, klingt es fast poetisch: „Digitale Pflanzen sind keine Zahlen“, sagt er. „Sie sind Geschichten aus Licht, Wachstum und Hoffnung.“ Vielleicht beschreibt genau das, was im Foodvalley geschieht, ein Ort, an dem Innovation nicht nur produziert, sondern gelebt wird. (NBTC)
Foto: SAIA
Hightech im Gewächshaus
Im Foodvalley der Niederlande verschmelzen Forschung, Robotik und Natur
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