(Dipl.-Psych. Barbara Lubisch, Stv. Bundesvorsitzende DPtV) Einkaufen, Freizeit, Arbeit – COVID19 schränkt den Alltag weiterhin stark ein.
Durch Ausgangsbeschränkungen und verstärkte Arbeit im Home-Office verbringen Paare derzeit mehr Zeit miteinander als sonst. So schön die gemeinsamen Tage sein können, so hoch ist doch oft die Gefahr von Konflikten. Gerade in einer beengten Wohnsituation können sich Paare dabei oft kaum aus dem Weg gehen.
Wir geben Ihnen ein paar Tipps und Hinweise, wie man sich nicht den ganzen Tag „auf den Keks“ geht:
Eigene Aufgaben und Wünsche reflektieren
Jeder ist nicht nur Teil eines Paares, sondern auch ein Individuum mit eigenen Ansichten, Erfahrungen, Freundschaftsbeziehungen. Es ist wichtig, die Verantwortung für das eigene Wohlergehen primär bei sich selbst zu sehen und nicht den/die Partner*in dafür verantwortlich zu machen. Jede/r sollte sich daher über ihre/seine eigenen Aufgaben und Wünsche bewusst werden.
Tages- und Wochenplan miteinander abstimmen
Es ist sinnvoll, etwa zu Beginn jeder Woche oder beim täglichen Frühstück das Gespräch mit dem/der Partner*in zu suchen und einen Tagesablauf oder Wochenplan zu entwickeln, der beide fair berücksichtigt. Zum Beispiel gehört dazu die Planung der Berufstätigkeit/Home-Office und die dafür nötigen Zeiten und Ressourcen, die notwendigen Erledigungen (Einkaufen?) sowie die Wünsche nach Freizeit (Bewegung? Musik? Telefonieren?). Wichtig könnte sein: Wer benutzt wann welches Zimmer? Verkraftet die Netzkapazität zwei Videokonferenzen gleichzeitig – oder wie könnte man dies lösen? Wann sollen die Mahlzeiten stattfinden? Wer kocht? Wie wird der Abend gestaltet? Wenn die Pläne nicht mehr gut passen, dann ändern Sie sie ab – in gemeinsamer Absprache natürlich!
Gemeinsame Zeit und individuelle Zeit einplanen
Wichtig ist es, sowohl gemeinsame Zeiten als auch Zeiten für jeden allein vorzusehen. Es ist hilfreich, bewusst Zeit auf schöne Weise miteinander zu gestalten – und dabei z. B. an frühere Gemeinsamkeiten anzuknüpfen: lange Wanderungen mit Picknick, gemeinsames Musikhören oder Filme ansehen, Fotobücher von gemeinsamen Urlauben gestalten, … Auch gemeinsam Neues auszuprobieren ist möglich, z. B. online ein Museum besuchen oder einen Internet-Tanzkurs machen. Auch Zeit für Zärtlichkeit und Sexualität gehört dazu. Werden Sie kreativ! Auch und gerade wenn man viel Zeit zusammen verbringt, werden Unterschiede in den Vorlieben und Bedürfnissen sichtbar, die respektiert werden müssen. Eine/r erholt sich vielleicht besser bei einem Work-Out im Wohnzimmer, während der/die Andere gerne mit nahestehenden Menschen telefonieren möchte. Es ist wichtig, nach Möglichkeiten zu suchen, wie jede/r etwas Freiraum auch ohne Partner*in pflegen kann.
Sprechen Sie miteinander über Ihre Vorstellungen
Der/die Partner*in kann nicht wissen, was Sie beschäftigt, was Sie sich wünschen oder was Sie stört, wenn Sie es nicht aussprechen! Eine gute Möglichkeit ist ein Ritual „Wir hören uns zu“, z. B. 20 Minuten jeden Abend oder alle paar Tage. Wichtig ist der offene Austausch: Wie ging es mir heute? Was hat mich belastet? Worüber habe ich mich gefreut? Was wünsche ich mir anders? Auch Enttäuschungen und Ärger können angesprochen werden. Wichtig ist dabei, zunächst gut zuzuhören, bevor man die eigene Sichtweise schildert.
Legen Sie nicht jedes Wort auf die Goldwaage
Diese Zeit der Ungewissheit und der Sorge ist anstrengend. Vieles Schöne und Erholsame ist nicht möglich, und es gibt kein klar definiertes Ende. Das raubt Kraft, kann müde, traurig oder nervös machen und auch zu Spannungen miteinander führen. Haben Sie Verständnis für Ihre/n Partner*in und für missmutige Gefühle, auch wenn ihm oder ihr die Wortwahl mal nicht so gut gelingt.
Wut und Aggression nicht ausagieren
Wenn Ärger zu Wut wird und man den/die Partner*in beschimpfen und beleidigen oder gar schlagen möchte: Unterbrechen Sie die Situation! Stoppen Sie sich, gehen Sie aus dem Zimmer, gehen Sie ins Bad, gehen sie eine Runde um den Block, rufen Sie Freunde an oder die Telefonseelsorge. Setzen Sie das Gespräch erst fort, wenn die Erregung abgeklungen ist!
Pflegen Sie bewusst auch Kontakte außerhalb Ihrer Paarbeziehung
Paare sollten nicht nur miteinander, sondern auch mit anderen Menschen im Austausch sein. Es ist wichtig, nicht nur die Arbeitsbeziehungen zu pflegen, sondern auch zur Familie, zum Freundeskreis, zu Kumpels oder Freundinnen den Kontakt aufrecht zu erhalten. Das geht über Chats, Telefon- oder Videokonferenzen – lassen sie sich ggf. beraten. Manches geht gemeinsam, andere Kontakte möchte vielleicht jede/r für sich pflegen – das ist OK!
Geben Sie den Tagen Struktur
Trennen Sie Arbeit und Freizeit, Wochentag und Wochenende. Pflegen Sie sich, achten Sie auch zu Hause auf Ihre Kleidung
Nehmen Sie Streit ernst
Wenn die Streitigkeiten sehr häufig oder sehr intensiv sind, sollte man das Signal ernst nehmen und ausprobieren, „Konfliktgespräche“ zu führen. Hier geht es zunächst darum, die eigenen Gefühle beim Ansprechen der Probleme herauszuarbeiten (Was genau stört mich? Welche Gedanken/Gefühle habe ich? Wodurch kommen sie zustande?). Im nächsten Schritt sollten die Bedürfnisse und Wünsche herausgearbeitet werden (Was wünsche ich mir? Was wünscht sich mein/e Partner*in?). Danach gilt es, die Änderungswünsche zu spezifizieren (Wie könnten wir eine Änderung erreichen? Was wünscht sich jede/r vom/von der Anderen genau? Was kann jede/r selbst dazu beitragen?). Abschließend geht es darum, gemeinsam aus den spezifischen Vorschlägen eine praktikable und für beide faire Lösung zu erarbeiten. Diese kann man auch schriftlich festhalten. Wer dazu etwas lesen möchte: „Klassiker“ sind z. B. „Wie redest Du mit mir? Fehler und Möglichkeiten in der Paarkommunikation“ (Engl & Thurmaier) oder: „Gute Beziehungen: Wie sie entstehen und stärker werden“ (Thomas Gordon). Unter Umständen sollte man rechtzeitig über eine Paartherapie nachdenken.
Bedürfnisse nach Abstand und Zeit richtig kommunizieren
Es ist wichtig, dem/der Partner*in keine Vorwürfe zu machen („Du störst mich“), sondern die eigenen Befindlichkeiten anzusprechen („Ich brauche Zeit für mich allein“). Hilfreich kann es sein, Lösungsvorschläge einzubringen und ggf. dem/der Partner*in etwas anzubieten („Ich übernehme dann …“). Gute Kommunikationsregeln werden z. B. im Buch „Miteinander reden“ Band 1 (Schulz von Thun) beschrieben.
Versuchen Sie, auch noch Paar zu sein, nicht nur Eltern
Das ist wirklich eine Herausforderung. Viele Familien entdecken gemeinsame Aktivitäten mit den Kindern, bei denen auch beide Eltern Spaß haben, z. B. Spieleabende, gemeinsam Kochen, Backen oder Heimwerken. Für die Zeit zu zweit bleiben den Eltern oft nur „Nischen“ im Tagesablauf. Für die Eltern jüngerer Kinder ist es empfehlenswert, die Zeit zu nutzen, wenn die Kinder im Bett sind. Die Eltern älterer Kinder können z. B. Spaziergänge ohne die Kinder machen oder ihnen erklären, dass sie etwas für sich machen möchten.
Keine überstürzten Entscheidungen fällen
Es ist möglich, dass Paare genau jetzt merken, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben. Generell gilt: Schwerwiegende Entscheidungen sollte man nicht überstürzen und möglichst nicht in einer Ausnahmesituation treffen. Das erzwungene Zusammensein kann auch eine Chance bedeuten, miteinander ins Gespräch zu kommen oder sich die Freizeit bewusst schön zu gestalten, anstatt sich aus dem Weg zu gehen.