Etwa ein Viertel der Pflegebedürftigen wird in Deutschland vollstationär in einem Pflegeheim betreut. Doch aufgrund der Corona-Krise und dem damit verbundenen Infektionsrisiko haben viele Angehörige Angst um ihre Verwandten, die in einer solchen Einrichtung leben.
Einige erwägen deshalb, den Pflegebedürftigen zu sich nach Hause zu holen. Birger Mählmann, Pflegeexperte der IDEAL Versicherung, informiert über gesetzliche Änderungen aufgrund der Pandemie und gibt Tipps, wie Angehörige die Situation meistern können.
Sind die eigenen vier Wände zur Pflege geeignet?
Zunächst einmal gilt es zu klären, ob das Haus oder die Wohnung die Anforderungen für altersgerechtes Wohnen erfüllt. „Von der Barrierefreiheit über ein elektrisches Pflegebett bis hin zum Notrufsystem: Damit es mit der Pflege im eigenen Zuhause klappt, sind häufig Umbauten erforderlich oder es müssen Hilfsmittel angeschafft werden“, erläutert Birger Mählmann. Für bauliche Veränderungen im Rahmen der Pflege können Menschen mit Pflegegrad einen Zuschuss bis zu 4.000 Euro bei der Pflegekasse beantragen. Umfassende Informationen zu Hilfsmitteln finden Interessierte im Online-Ratgeber „Hilfsmittel für die häusliche Pflege“, der vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird.
Kurzzeitige Arbeitsverhinderung
Bei einem akuten Pflegefall in der nahen Verwandtschaft dürfen sich Angehörige kurzfristig bis zu zehn Tage von der Arbeit freistellen lassen. Aufgrund der aktuellen Corona-Krise hat der Gesetzgeber diesen Zeitraum mit einer Gesetzeserweiterung bis zum 30. September 2020 auf 20 Arbeitstage erweitert. Voraussetzung: Der Pflegeengpass ist aufgrund dieser Pandemie entstanden. Die unbezahlte Freistellung muss jeder Betrieb gewähren. Trotzdem rät der Pflegeexperte, vorab mit dem Arbeitgeber über die Situation zu sprechen. Fordert dieser eine Bescheinigung, muss der Arbeitnehmer die Pflegebedürftigkeit mit einem Attest des behandelnden Arztes belegen.
Längerfristige Vereinbarung von Beruf und Pflege
In Betrieben mit mindestens 16 Beschäftigten haben Arbeitnehmer zusätzlich das Recht auf Pflegezeit für maximal sechs Monate. Dabei handelt es sich um einen vorübergehenden Wechsel in Teilzeit oder eine unbezahlte Freistellung. Eine teilweise Freistellung nach dem Familienpflegezeitgesetz ist in Betrieben ab 26 Beschäftigten möglich. „Hier können Beschäftigte ihre wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden reduzieren – und das für maximal 24 Monate“, erläutert Mählmann. Bisher mussten Pflegezeit und Familienpflegezeit jeweils zusammenhängend genommen werden und der Übergang lückenlos erfolgen. Aufgrund der Corona-Pandemie gilt jedoch: Pflegende Angehörige können unter Zustimmung des Arbeitgebers eventuell vorhandene „Restzeiten“ bis spätestens Ende September dieses Jahres nachträglich nehmen. „Zusammengenommen darf die Auszeit die Gesamtdauer von 24 Monaten nicht überschreiten“, weiß der Experte. Üblicherweise müssen Arbeitnehmer die Familienpflegezeit acht Wochen vorher ankündigen. Soll sie spätestens zum 1. September 2020 beginnen, reicht es aktuell, wenn der Arbeitgeber zehn Tage vor Antritt in Textform informiert wird. Außerdem dürfen Angehörige in Familienpflegezeit bis Ende September die Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden innerhalb eines Monats unterschreiten. Bereits seit 2019 gibt es die Brückenteilzeit, die in Betrieben mit mindestens 46 Beschäftigten für ein bis fünf Jahre möglich ist.
Pflege zu Hause bewältigen
Viele unterschätzen die körperlichen und psychischen Auswirkungen der häuslichen Pflege. Es bedeutet beispielsweise einen enormen Kraftaufwand, einem Elternteil mit 70 Kilogramm Körpergewicht mehrmals am Tag beim Aufstehen zu helfen. Das belastet bei Angehörigen auf Dauer die Muskulatur und Wirbelsäule. „Aber auch die Pflege kognitiv eingeschränkter Menschen zum Beispiel bei Demenz, kann psychische Probleme auslösen. Denn hierbei handelt es sich häufig um einen Rund-um-die-Uhr-Job, da Demenzkranke immer wieder Anleitungen zum täglichen Leben benötigen“, erläutert Birger Mählmann von der IDEAL. Wer Müdigkeit, allgemeines Unwohlsein, innere Unruhe, depressive Stimmungen, Schuldgefühle, Aggressionen, Angst und Schlafstörungen bei sich bemerkt, sollte sich regelmäßig Zeit für sich selbst nehmen und sich Unterstützung durch professionelle Pflegekräfte holen. Diese können beispielsweise Bereiche, die Angehörige selbst nicht leisten können oder wollen, abdecken. Dazu lassen sich die Leistungen aus der Pflegepflichtversicherung für private Pflege (Pflegegeld) und professionelle Pflege (Pflegesachleistungen) kombinieren. Wer zum Beispiel ein Elternteil mit Pflegegrad 3 zuhause pflegt, kann entweder 545 Euro Pflegegeld oder bis zu 1.298 Euro Pflegesachleistungen beantragen oder eine Kombination aus beiden Leistungen in Anspruch nehmen.
Finanzielle Hilfen für pflegende Angehörige
Tritt eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung ein, rät der IDEAL-Experte, umgehend Pflegeunterstützungsgeld zu beantragen: „Den Antrag so schnell wie möglich an die Pflegeversicherung schicken.“ Denn diese Lohnersatzleistung wird frühestens ab dem Tag des Antrags gezahlt. Sowohl für Pflege- als auch für Familienpflegezeit können Angehörige ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragen. „Wer bis zum 30. September 2020 Corona-bedingt weniger verdient als zuvor, kann dies im Antrag vermerken und entsprechende Nachweise einreichen. Dann wird dies bei der Berechnung der Darlehenshöhe berücksichtigt“, informiert Mählmann. Zudem können Pflegebedürftige ihr Pflegegeld als finanzielle Anerkennung an den pflegenden Angehörigen auszahlen. Mählmann ergänzt: „Wer die Pflege eines nahen Angehörigen für mindestens zehn Stunden an zwei Tagen pro Woche übernimmt, kann sich diese Zeiten von der Rentenversicherung anrechnen lassen.“
Weitere Informationen rund um das Thema Pflege erhalten Angehörige beispielsweise bei den Pflegeberatungsstellen und beim Bundesfamilienministerium, das auch ein Pflegetelefon eingerichtet hat: 030 20179131.
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