
Warum  reisen Menschen eigentlich? Und was passiert, wenn sie es nicht mehr  tun oder tun können? Ein Interview mit Daniel Kraus, Geschäftsführer von  Wikinger Reisen, über die Kehrseite des Verzichts. Denn auch das  „Nicht-Reisen“ birgt Risiken.
„Dann reisen wir 2020 eben mal nicht.“ Was riskieren wir mit dieser Entscheidung?
Daniel Kraus:
Nicht  zu reisen kennt letztlich nur Verlierer. Wir riskieren all das, was  Reisen wertvoll und nachhaltig wirkungsvoll macht. Von der Vorfreude bis  hin zu Urlaubserinnerungen, die nachwirken. Dazwischen fehlt eine  breite Palette an Gefühlen und Eindrücken – die Begegnungen, das  Eintauchen in andere Kulturen und fremden Alltag.
Wie wirkt sich das auf den Einzelnen aus?
Daniel Kraus:
Der  Nicht-Reisende gewinnt keinen Abstand zum Gewohnten, keine neuen  Blickwinkel. Ihm fehlen Inspiration und Erfahrungen. Alles Faktoren, die  Verständnis, Toleranz und Weltoffenheit erzeugen. Auch das Bewusstsein  für Umweltschutz, Plastikvermeidung etc. nimmt ab, wenn ich vermüllte  Küsten und Landschaften nicht live erlebe. Dazu kommt der mangelnde  Austausch: Wir haben zahlreiche Alleinreisende und Singles unter unseren  Gästen. Viele davon sitzen im Homeoffice. Ihnen fehlt die Kommunikation  mit Gleichgesinnten, die sie auf Wanderungen und Radtouren erleben  würden.
Welche Verluste erleiden die Zielgebiete – insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländer?
Daniel Kraus:
Sie  verlieren die Existenzsicherung, alles bricht weg. „Bitte schickt uns  doch endlich wieder Gäste. Wir sind motiviert und empfangen sie mit mehr  Gastfreundschaft denn je. Seit März hat die gesamte Begleitmannschaft  keine Arbeit mehr. Wir warten auf Touristen“, schrieb uns gerade  Jackson, ein Guide, der bei den Kilimanjaro-Trekkings dabei ist. Das  Gleiche gilt für den Beduinen, der die kleinen Wikinger-Gruppen mit  seinem Reitkamel „Bottorott“ durch die marokkanische Wüste führt. Den  Busfahrer Enrico in Ecuador, der für jeden Transfer parat steht. Die  Köchin Hilda in Tansania, die Urlauber regelmäßig ins Schwärmen bringt.  Oder auch die Musiker der Gruppe Manolo y Amigos, die in unserem Hotel  Luz del Mar auf Teneriffa spielen. Sie alle stehen jetzt vor dem Nichts.  Oft fehlen soziale Systeme, die Verluste abfedern. Nicht zu reisen  bedeutet daher auch, Menschen, die uns über Jahrzehnte wertvolle  Reiseerlebnisse beschert haben, im Stich zu lassen.
Gerät auch der Tier- und Naturschutz in Gefahr?
Daniel Kraus:
Auf  jeden Fall, der Schutz bedrohter Arten – beispielsweise Gorillas oder  Meerestiere in bedrohten Riffs – ist ohne Tourismuseinnahmen nicht  finanzierbar. Auch Wilderei, illegale Fischerei und Abholzung nehmen  wieder zu, wenn die Existenzsicherung ausfällt.
Welche Folgen hat das „Nicht-Reisen“ für den Urlaub von morgen?
Daniel Kraus:
Es  ist unmöglich, eine komplette Branche verlustfrei in den Stand-by-Modus  zu versetzen. Der Schalter lässt sich anschließend nicht einfach von  off auf on umlegen. Wir riskieren einen Teil der Infrastruktur zu  verlieren, die Urlauber brauchen. Deshalb ist es uns so wichtig, auch  jetzt sichere Reisen durchzuführen, die diese Verluste vermeiden oder  zumindest verringern.
Foto: Wikinger Reisen





