(Harald Kaiser, Auto-Medienportal.Net) Fast unbemerkt von der so geliebten Öffentlichkeit ist er Mitte Februar 90 geworden: Robert („Bob“) Anthony Lutz, der ehemals schillernde Autoboss, suchte stets die Blitzlichter, nahm nie ein Blatt vor den Mund und sonnte sich in seiner Prominenz. Heute lebt er zurückgezogen in Ann Arbor/Michigan.
Wie er über manche seiner einstigen Managerkollegen urteilt und wie es auf den Chefetagen mitunter zuging, hat er in seinen Erinnerungen „Idole und Idioten“* veröffentlicht. Auszüge daraus mit gleichermaßen amüsanten wie teils absonderlichen Erlebnisse im feinen Zwirn.
Wer den gebürtigen Züricher Bob Lutz je erlebt hat, wird ihn kaum vergessen. Seine äußerlichen Erkennungsmerkmale: Fast zwei Meter groß, gut aussehend, volles Haar, oft eine dicke Zigarre qualmend und bei offiziellen Terminen auch schon mal Cowboy-Stiefel tragend. Sein prägnantestes Merkmal aber ist die Neigung zu deutlichen Worten zusammen mit einem dröhnenden Lachen – gern auf Kosten anderer. Lutz, der selbst Jahrzehnte in den Vorstandsetagen von General Motors, BMW, Ford, Chrysler und am Ende seiner Karriere wieder bei General Motors die Geschicke der Konzerne mitbestimmte, schildert in dem Buch seine Erlebnisse mit zehn ehemaligen Chefs. Süffig erzählt er, dass die vermeintlich allmächtigen Bosse oft hauptsächlich damit beschäftigt waren, ihre Eitelkeiten auszuleben und Schrullen zu pflegen, anstatt ihre Millionen-Jobs zu machen.
Ein paar Beispiele. Etwa Ralph Mason, von 1966 bis1970 Chef der GM-Tochter Opel, der offenbar stets ziemlich benebelt war. Lutz, damals dort Verkaufsvorstand, nennt ihn einen „kapitalen Alkoholiker“. Als Beleg dafür schildert er den Verlauf eines Geschäftsessens Masons mit deutschen Opelhändlern, „bei dem sich Ralph bis zu Besinnungslosigkeit betrank. Zwei meiner kräftigeren Bezirksleiter aus meiner Vertriebsmannschaft mussten ihn in den Hotelaufzug schleppen, während die Kappen seiner teuren Budapester-Schuhe über den Steinboden schrappten“.
Dass Mason der Trunksucht verfallen war, macht Lutz auch an einem anderen Punkt fest. Mason verlies nämlich stets um 16 Uhr das Unternehmen in Rüsselsheim mit dem Hinweis: „Ich muss los meine Herren, hab’ noch einen wichtigen Termin in der Stadt.“ Der entpuppte sich als Treffen mit Masons Ehefrau Rina in der damals angesagten Frankfurter Bar „New Jimmy’s“. Dort soll bis an die Grenze der Bewusstlosigkeit gebechert worden sein. Lutz: „Hier betranken sich Ralph und Rina jeden Abend hoffnungslos, wurden dann heimgefahren und von ihrem Chauffeur und den Wachleuten ins Haus verfrachtet.“
Gehässig beschreibt Lutz das Äußere seines damaligen Bosses: „Mit über 1,80 Metern Größe und rund 110 Kilo Kampfgewicht trat er imposant auf. Seine große, gedrungene Gestalt krönte ein überlanges Gesicht, dessen ovale Form zusätzlich betont wurde durch eine hohe Stirn und einen mächtigen Schädel, den die darüber gekämmten rötliche Haarsträhnen nur unzulänglich kaschierten. Den Eindruck vom ‚längsten Gesicht aller Zeiten‘ verstärkte noch der Umstand, dass Ralph, der damals Anfang 60 war, kein erkennbares Kinn hatte. Von seiner Unterlippe aus fiel eine rötliche Fettschürze in weichem Bogen bis zum Hemdkragen ab.“
Die unzähligen Gelage des Ehepaars Mason in der Bar mündeten schließlich in einem Eklat wegen der angeblich gestohlenen Handtasche von Rina Mason. Die jedoch hatte sie bloß verlegt und im Vollsuff nicht mehr gefunden. Daraufhin erteilte der Barbesitzer den beiden Amerikanern Lokalverbot. Irgendwann war Mason wegen seiner Eskapaden nicht mehr haltbar und wurde auf den repräsentativen Posten des Chairman GM Europe mit Sitz in London „befördert“ – dem Sonnenuntergang entgegen, wie solche Versetzun-gen laut Lutz bei General Motors genannt wurden.
Von ganz anderem Schlag und stets klar im Kopf war nach Lutz‘ Einschätzung Freiherr Eberhard von Kuenheim, der legendäre Boss von BMW, dort von 1970 bis 1993 im Amt. Kuenheim, der heute auf die 96 zusteuert, deckte nach Lutz’ Schilderung gleich zu Anfang seiner Karriere einen gigantischen internen Betrug des damaligen BMW-Verkaufschefs Paul Hahnemann auf, von dem seinerzeit nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Hahnemann hatte mit Hilfe einer willfährigen Werbeagentur und fingierten Rechnungen für nie erbrachte Leistungen Millionen Mark auf sein Konto umleiten lassen.
Geschickt verstand es BMW, den Millionen-Beschiss als verlorenen Machtkampf von Hahnemann darzustellen. Denn der wollte anstelle von Eberhard von Kuenheim selbst BMW-Chef werden, was nicht gelang und weswegen er bitter entäuscht angeblich seinen Rücktritt erklärt habe. Dass es anders war, enthüllte Bob Lutz in seinem Buch: Man einigte sich einvernehmlich darauf, dass Hahnemann das Unternehmen geräuschlos verlässt, woraufhin Lutz Hahnemanns Nachfolger wurde.
Lutz schreibt über v. Kuenheim respektvoll: „Man durfte sich vom Dauerlächeln, vom jungenhaften Auftreten, von der leisen Stimme und der kultivierten Sprache des jungen Freiherrn nicht täuschen lassen. Er war gerissen und knallhart.“ Als wäre es gestern gewesen, erinnert sich der Schweizer mit US-Pass präzise an eine Fahrt mit Kuenheim von München nach Stuttgart zum Daimler-Boss Joachim Zahn – eine delikate Mission, wie sich herausstellen sollte.
Es ging darum, gut Wetter zwischen den Konkurrenten zu erzeugen. Kaum jedoch hatte man in Zahns Büro Platz genommen und am gereichten Kaffee genippt, wedelte der aufgebrachte Daimler-Chef mit einem mehrseitigen Dossier, auf dem das avantgardistische Flügeltüren-Turbocoupé zu sehen war, das BMW aus Anlass der Olympischen Spiele 1972 in München vorgestellt hatte.
„Das ist ein Unding! Ein Unding!“, erregte sich Zahn Lutz‘ zufolge. Und weiter: „BMW hat kein Recht, ein Flügeltürenmodell zu präsentieren! Das haben wir bereits getan mit unserem großartigen Prototypen C111! Das können Sie nicht machen!“ Auf die Frage, ob Mercedes ein Patent oder ein Urheberrecht auf das Design verfüge, entgegnete Zahn barsch: „Das tut nichts zur Sache! BMW hat kein Recht, Mercedes zu kopieren! Herr von Kuenheim, das muss aufhören! Außerdem verkauft Herr Lutz auch viel zu viele große Sechszylinder-Limousinen und -Coupés. Auch das muss aufhören. Sechszylinder sind unsere Spezialität. Sie produzieren gute Vierzylinder. Konzentrieren Sie sich darauf.“
Lutz glaubte, nicht recht gehört zu haben. Der größte Rivale forderte BMW unverblümt zur illegalen Aufteilung des Marktes auf. Und was von Kuenheim Zahn geantwortet hat, auch das verblüffte Lutz: „Herr Dr. Zahn, gute Beziehungen zwischen unseren Unternehmen sind für uns beide von größter Bedeutung und wir werden nichts tun, was diese belasten könnte.“ Auf der Rückfahrt nach München zeigte sich jedoch, dass Kuenheims Äußerung eine hohle Höflichkeitsfloskel war. Denn der BMW-Chef sagte zu seinem noch immer konsternierten Vertriebsvorstand: „Was die Sechszylinder angeht, treiben Sie das Geschäft ruhig weiter voran.“ Das taktische und strategische Geschick von Kuenheims hat Lutz imponiert, wenngleich die beiden bei vielen modellpolitischen Themen oft über Kreuz waren.
Fiel Lutz an der Person Kuenheim dessen manieriertes und oftmals herablassendes Gehabe auf, bemerkte er beim ehemaligen Ford-Konzernboss Philipp Caldwell mehrere ausgeprägte Macken. Der störte sich beispielsweise an nicht gleichlangen Schnürsenkel an Schuhen. Ferner besaß er als Abstinenzler den Tick, stets nur britisches Wasser der Marke ‚Malvern Water‘ zu trinken, das auch auf längeren Dienstreisen im Firmenjet mitgeführt werden musste. Gelegentlich kam es vor, dass Caldwell alle Flaschen rasch geleert hatte und sein Wasser-Favorit nirgends aufzutreiben war. Wie es dann weiterging, schildert in Lutz‘ Buch eine Flugbegleiterin: „Als sie leer waren, haben wir sie mit irgendwas aufgefüllt.“
Ein weiterer Spleen schließlich lässt Lutz wohl bis heute die Stirn runzeln. Eines Tages war Caldwell auf Deutschlandtour bei Ford in Köln, wo Lutz zu dem Zeitpunkt Chef war. Großzügig hatte er seinen Dienstwagen mit Chauffeur an Caldwell abgestellt, damit der den großen Boss fahren konnte. Als dieser nach einem mehrtägigen Besuch wieder auf dem Weg nach Amerika war, zog der Chauffeur Lutz ins Vertrauen und schilderte ihm ein merkwürdiges Erlebnis: Er musste dem Piloten des Firmenjets am Flughafen Köln/Bonn eine schwere Tasche übergeben, die er zuvor beim Chef des Kölner Hotels abgeholt hatte, in dem Caldwell abgestiegen war. Weil der Pilot keine Anstalten machte, die Tasche sofort ins Flugzeug zu bringen, mahnte der Fahrer dies mit den Worten an: „Wir dürfen sie doch nicht irgendwo abstellen.“ Darauf der Pilot, der mit Caldwells Marotten vertraut war: „Du meine Güte, ich zeige Ihnen mal, was in der verflixten Tasche ist.“ Er riss den Reißverschluss auf, zum Vorschein kamen Dutzende kleine Marmeladengläschen, wie sie in europäischen Hotels zum Frühstück gereicht werden.
Foto: Auto-Medienportal.Net/General Motors
Alkoholiker, Spinner und ein Könner
... das ist Robert („Bob“) Anthony Lutz
Veröffentlicht am: 05.04.2022
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