Die EU-Parlamentarier haben bei ihrer Plenarsitzung in Straßburg mit 339 Stimmen gegen 249 Neinstimmen beschlossen, die Autohersteller zu verpflichten, die CO2-Emissionen bis 2035 um 100 Prozent zu senken. Das ist faktisch ein Verbot der Diesel- und Benzinmotoren.
Damit haben sie entschieden, dass es bei dem EU-Programm „Fit for 55“ mehr um die Emissionen von Personenwagen vor der eigenen Haustür als um das rasche Verhindern einer Klimaerwärmung geht.
Dieses Dilemma der Parlamentarier in Straßburg illustrierte der Verkehrsclub Deutschland (VCD) mit seinem Pressestatement zur Debatte: „Strombasierte Kraftstoffe sind und bleiben teuer und wären nur dann annähernd klimaneutral, wenn sie aus 100 Prozent erneuerbarem Strom oder mit CO2 aus der Luft produziert werden“, sagte Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des VCD. Wenn wir über die Seitenhiebe gegen die sogenannten e-Fuels hier erst einmal hinwegsehen, wird die Wahrhaftigkeit seines Satzes auch bei einer Anwendung auf die Elektromobilität deutlich: „Elektroautos sind und bleiben teuer und wären nur dann annähernd klimaneutral, wenn sie mit 100 Prozent erneuerbaren Strom betrieben werden.“
Müller-Görnert spricht von „klimaneutral“ und nicht von „emissionsfrei“. Das ist ebenso erstaunlich wie andere kluge Sätze aus seinem Statement wie: „Nur wenn die Emissionen schnell und deutlich sinken, kann die EU ihre eigenen Klimaziele erreichen.“ Wer wollte da widersprechen. Und dennoch wird hinter dem kompletten Text die Sorge sichtbar, es könne offensichtlich werden, dass Elektroautos allein das Ziel verfehlen werden. Es dürfe keine Schlupflöcher für e-Kraftstoffe geben, fordert Müller-Görnert. Und im Übrigen kommen die Aktivitäten der Alternativen zu spät, meint er. Schließlich habe sich die Autoindustrie längst für den Elektroantrieb entschieden.
Für die Automobilhersteller hatte am Dienstag Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, den Abgeordneten ihr Pressestatement mit in die Plenarsitzung gegeben: „Alle Technologien werden gebraucht, um klimaneutralen Verkehr zu realisieren. Alternative, klimaneutrale Kraftstoffe wie e-Fuels sind ebenfalls mitentscheidende Faktoren und notwendiger Teil der Lösung.“ Und sie fügt einen Aspekt hinzu, der von den Gewerkschaften gar nicht mehr so gern betont wird wie noch vor Monaten: „Mobilität muss für alle zugänglich und bezahlbar sein. Transformation gelingt nur mit gesellschaftlichem Rückhalt und der Bereitschaft der Menschen, den Wandel mitzutragen.“ Deswegen sei es unerlässlich, dass die Industrie in Europa wettbewerbsfähig produzieren könne. „Nur so gelingt es, Arbeitsplätze in Europa zu sichern“, so Müller.
Für diese Technologieoffenheit sprechen gute Gründe. Mag auch Europa dem Glauben an das Elektroauto verfallen sein, die deutschen Automobilhersteller sind Exportweltmeister und treffen draußen nur selten auf Märkte, die bei der persönlichen Mobilität ebenfalls auf Monokultur setzen. Die Hersteller brauchen den Verbrennungsmotor nicht nur für die Plug-in-Hybride, sondern auch als Motor, der mit klimaneutralen alternativen Kraftstoffen das Klima schnell entlasten kann. Weltweit liegt der Bestand an Fahrzeuge heute bei rund 1,5 Milliarden. Was bringen da ein paar Millionen Elektroautos in Deutschland und ein paar Dutzend Millionen in Europa?
Das Umweltbundesamt (UBA) sorgte kürzlich für einen sachlichen Blick auf den Verursacher Straßenverkehr. Am 31. Mai legte die Behörde eine Studie mit dem Titel „Abschätzung von THG-Einsparungen von Maßnahmen und Instrumenten zu nachhaltigem Konsum“ vor, erstellt von dem privaten Öko-Institut in Freiburg im Auftrag des UBA. Die Freiburger hatten 13 Maßnahmenvorschlägen zur Reduktion von Treibhausgasen untersucht. Die Ergebnisse in Kurzfassung: weniger Autos, weniger Energieverbrauch, weniger Fleisch und insgesamt weniger Konsum.
Die Studie fand heraus, bis 2030 könnten „rund zwölf bis 20 Millionen Tonnen Treibhausgase pro Jahr“ eingespart werden. Besonders hohe Potenziale fand auch dieses Institut beim Personenwagen bei drei Maßnahmen:
Eine Reduktion des Pkw-Bestands in privaten Haushalten um zehn Prozent, ausgelöst durch einen Wechsel vom Pkw-Besitz zum Carsharing, würde 3,9 bis 6,7 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente einsparen (maximal 0,9 Prozent).
Ein verpflichtendes Mobilitätsmanagement für Behörden und Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden könnte über eine Million Tonnen Treibhausgase einsparen (maximal 0,3 Prozent).
Eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeiten auf Land- und Bundesstraßen sowie innerorts untersucht, bringt 0,5 bis 0,7 Mio. Tonnen CO2 weniger (maximal 0,9 Prozent).
In der Addition ergibt sich also ein unbefriedigendes Minus. Die jährliche Treibhausgas-Emissionen im Verkehrsbereich liegt aktuell bei rund 160 Millionen Tonnen CO2. Der Wert soll bis 2030 auf 95 Tonnen abgesenkt werden. Die von der Studie untersuchten Beiträge des Autoverkehrs würden uns dem Ziel von 95 Millionen Tonnen CO2 also kaum näherbringen. Aber da ist ja noch das „emissionsfreie“ Elektroauto. Das könnte leicht die fehlenden Tonnen in die Positiv-Bilanz einbringen, wäre das Elektroauto tatsächlich emissionsfrei.
Angesichts von aktuell deutlich über 50 Prozent Strom aus Kohle, Gas und Kernkraft sowie der CO2-Emisionen bei Rohstoffbeschaffung und Zulieferungen, Fahrzeugbau und Entsorgung schlägt die CO2-Bilanz des reinelektrischen Pkw inzwischen sogar schon mal ins Negative, tief ins Fossile.
Genau da könnten die alternativen Kraftstoffe helfen. Die modernen unter ihnen entstehen aus Bioabfall, Kunststoff oder Luft und Wasser. Beim Betrieb emittieren sie nur das CO2, dass sie der Luft oder ihren Rohstoffen entzogen haben. Aber sie sind nicht emissionsfrei im Sinne der Gesetze, sondern „nur“ klimaneutral. Sie verändern die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht, tragen deswegen nicht zur Klimaerwärmung bei. Aber das EU-Programm verlangt emissionsfreie Autos. Das schließt alle alternativen Kraftstoffe per Gesetz aus, weil sie im Betrieb Abgas emittieren, wenn auch sauber und klimafreundlich.
Nach dem Beschluss des Parlaments muss der Rat das EU-Programm noch durchwinken. Bis dahin ist noch Zeit zu erklären, dass die Naturwissenschaft über dem Gesetz steht. Sie wird auch vom Europäischen Rat nicht verändert. Bleibt zu hoffen, dass der Rat auf den Rat der Wissenschaft und nicht auf den der erstaunlich einflussreichen Öko-Lobby hört.
Aber man weiß ja nie. Wenn es industriepolitisch wird, haben die anderen den Deutschen schon immer gern was ans Zeug geflickt.
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