Internationale Krisen verlangen von einer jeden Nation die richtige Mischung aus Pragmatismus und Pädagogik. Manchmal müssen Grundsätze kippen, bevor die Lage abrutscht; manchmal braucht es mehr Information und Transparenz, um den Bürger mitzunehmen, manchmal müssen die aber in die Ecke und sich schämen oder grämen, bis sie wieder brav sind. Unsere Zeiten liefern genug Beispiele.
Kernenergie. Das Thema war zu zementiert, um emotionsfrei und pragmatisch entschieden zu werden. Dabei war doch klar: Wir dürfen nur noch so wenig wie möglich vom knappen Gas fürs Verstromen verbrauchen. Die noch laufenden Atomkraftwerke liefern gut sechs Prozent. Also lassen wir sie solange am Netz, wie ihr aktueller Zustand das zulässt. Eine schnelle pragmatische Entscheidung hätte auch einen pädagogischen Effekt gebracht: Alle jene, die vom Ausstieg aus der Kernkraft überzeugt sind, hätten sich angesichts der einstürzenden Neubauten leichter mit einer derart pragmatischen Entscheidungen abfinden können – auch ohne Grundsatzdebatte.
Tempolimit. Es gehört mittlerweile zu politisch korrektem Verhalten, sich für Tempo 130 einzusetzen. Das Umweltbundesamt hat uns vorgerechnet, dass wir damit knapp ein Prozent Kraftstoff einsparen könnten. Doch schon das Wetter kann einen größeren Einfluss auf diesen Wert nehmen als die geforderte Geschwindigkeitsbeschränkung. Außerdem liegt der Wert von einem Prozent noch im Bereich der statistischen Unschärfe. Das Tempolimit wäre also eine pädagogische Maßnahme, ein Gehorsamssprung des Bürgers, der am Beispiel seines Fahrverhaltens lernen soll, überall Energie zu sparen. Ein Lernerfolg, aber ohne Folgen fürs Klima.
Fahrverbote. Sie werden immer wieder gern vorgeschlagen, erst kürzlich bei „Spiegel online“. Ein Interviewpartner forderte, SUV das Fahren zu verbieten. Dabei spart jeder der vielen Millionen SUV-Fahrer mit seinem Diesel im Vergleich zu einem gleichstarken Benziner mehr Kraftstoff ein als seine ungünstige Aerodynamik kostet. In rationalen und pragmatischen Begründungen verbirgt sich eben manchmal auch Neid. Also Suvisten, ab in die Ecke, lasst Euch beschimpfen!
In welche Falle solch eine Debatte führen kann, zeigt ein Blick auf die Million von Reisemobilisten, die in der Saison auf deutschen Straßen ihre wohlverdiente Freiheit genießen – alles große Autos aus dem Nutzfahrzeugangebot, mit meist abenteuerlich hohem Luftwiderstand, schlechter Isolation, kräftigen Anlagen fürs Wohnklima und immer öfter besetzt mit rüstigen Rentnern. Statt daheim zu bleiben, reißen sie nur für ihr Vergnügen tausende Kilometer ab. Sollen wir denen das etwa auch sagen: Ab in die Ecke, schämt Euch!
Es war eine pädagogische Entscheidung, pragmatisch veranlagte Menschen finanziell deutlich zu belohnen, wenn sie ein Elektroauto kauften. Rund 700.000 Batterieautos zählen heute zum Fahrzeugbestand Deutschlands. Die brauchen viele Millionen Kilowattstunden. Und spätestens die inzwischen unabwendbare pragmatische Entscheidung zu mehr Kohleverstromung nimmt ihnen die letzte Illusion vom emissionsfreien Auto. Ab in die Ecke, genießt das Geld des Steuerzahlers und schweigt!
Die einmalige Umweltprämie und die jährlich zu kassierende Treibhausgasminderungsquote zeigen, was geschieht, wenn Ideologie auf Wirklichkeit trifft. Auch in diesem Konflikt kann sich der Pragmatismus nur mit Schmerzen über langjährig gelernte und fest verankerte Leersätze hinwegsetzen, wie bei der Frage nach der Laufzeit der Kernkraftwerke. Das verlangt Führung und kostet Kraft und Zeit. Haben wir genug davon? (Peter Schwerdtmann/cen)
Foto: Auto-Medienportal.Net
Wortklauberei (37): Pragmatismus vs. Pädagogik
Kommentar von Peter Schwerdtmann, Autoren-Union Mobilität
Veröffentlicht am: 21.09.2022
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