Das deutsche Wort des Jahres 2022 steht fest und lautet Zeitenwende. Aber nicht nur in Deutschland wird jedes Jahr ein Wort gewählt, das eine besondere gesellschaftliche Relevanz hat.
Die 1971 von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) begonnene Tradition hat weltweit viele Nachahmer gefunden. Die Sprachlern-App Duolingo kennt die Worte des Jahres 2022 anderer Länder und erklärt, warum sie alle ein Stück Zeitgeschichte sind.
„Sprache lebt und verändert sich mit dem Zeitgeist. Die Worte des Jahres in den unterschiedlichen Sprachen sind der beste Beweis dafür“, erklärt Rebeca Ricoy von Duolingo. „Auch wenn man sie Jahre später noch liest, weiß man direkt wieder, um welches Jahr es geht.“
Bulgarien: Инфлация
„Inflation“ ist das Wort des Jahres in Bulgarien. Der Podcast des Sofia Comedy-Clubs, der beliebteste Podcast des Landes, hat Ende Oktober 11.000 Stimmen ausgewertet. Der Community-Preis geht an das Wort „Дракарис“ („Drakaris“) aus der Serie „Game of Thrones: The House of Dragons“. Die Online-Abstimmung fand bereits das dritte Mal statt.
Großbritannien: Permacrisis und Goblin Mode
Der britische Verlag Collins kürte „Permacrisis”, also eine „permanente Krise”, aus verschiedenen Gründen wie dem Brexit, Inflation und Energiekosten zum Wort des Jahres. Das Oxford English Dictionary wählte „Goblin Mode” (engl.; wörtl.: Kobold-Modus), das in Deutschland sogar Teil der Abstimmung zum Jugendwort des Jahres war. Dahinter verbirgt sich ein selbstgefälliges, faules oder gar gieriges Verhalten, bei dem soziale Normen und Erwartungen abgelehnt werden.
Japan: 村神様
Der Begriff „Murakami-sama“, der sich am ehesten mit „Gott Murakami“ übersetzen lässt, ehrt den japanischen Baseballspieler Murakami Munetaka, der in der Saison 2022 unschlagbare 56 Homeruns erzielte und viele Rekorde brach. Für das „kami“ in seinem Namen wird normalerweise das Zeichen für „oben“ (上) verwendet, hier wird es inzwischen mit dem Schriftzeichen für „Gott“ (神) geschrieben, das ebenfalls „kami“ gelesen wird. In Japan wird statt eines Wortes des Jahres der „Große Preis für Neologismen und Schlagwörter” gekürt.
Österreich: Inflation
Die Gesellschaft für Österreichisches Deutsch und die Nachrichtenagentur APA haben neben „Inflation“ als Wort des Jahres auch die Unworte des Jahres gewählt: „Energiekrise“ und „Heizschwammerl“, der österreichische Ausdruck für Heizpilze.
Schweden und Finnland: Swishata
Die Gesellschaft der „Hüter der finnischen Sprache” hat zehn Begriffe für ein Online-Voting bestimmt, die eine Brücke zwischen der schwedischen und finnischen Sprache bilden. Gewonnen hat das Verb für den Geldversand mit der schwedischen App „Swish”.
Schweiz: Strommangellage (Deutsch), boycotter (Französisch), penuria (Italienisch) und mancanza (Rätoromanisch)
In der Schweiz gibt es für jede Amtssprache ein eigenes Wort des Jahres. Die Begriffe wurden Ende November von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) verkündet. Die Forschenden bestimmen mithilfe der Schweizer Diskursdatenbank je 30 Worte pro Sprache, die anders oder wesentlich häufiger als in den Vorjahren genutzt wurden. Sowohl „penuria” als auch „mancanza” bedeuten Mangel und schließen sich dem deutschen Wort „Strommangellage” an, das seit Sommer in aller Munde war. Derweil wurde in der französischsprachigen Schweiz eine Menge boykottiert, von den Olympischen Spielen in Peking über die Fußballweltmeisterschaft in Katar bis hin zu Wahlen.
Südafrika: Load shedding
Das südafrikanische Wort des Jahres wird vom Pan South African Language Board, einer Behörde des nationalen Kunst- und Kulturministeriums, verkündet. „Load shedding“ (engl.; etwa: Lastabwurf) steht für das absichtliche Herunterfahren von Teilen eines Stromnetzes, um den Ausfall des gesamten Systems zu verhindern. Dies gehörte 2022 zu den prägenden und anhaltenden Erlebnissen in Südafrika und übertraf bei den diesjährigen Parlamentswahlen darum Begriffe wie „Inganekwane“ (Legende), „Phala-phala“ (eine Farm, die in einen Skandal um den früheren Präsidenten Cyril Ramaphosa verwickelt ist), „Xenophobia“ (Fremdenfeindlichkeit) und „Gaslighting“.
USA: Gaslighting
„Gaslighting“ (engl.; wörtl.: Gas anzünden) wurde vom Merriam-Webster-Verlag zum Wort des Jahres gekürt. Der Begriff beschreibt eine Form von Manipulation, bei der ein Gegenüber einen derart verunsichert, dass man die eigene Wahrnehmung infrage stellt. Laut Merriam-Webster, Amerikas ältestem Verleger von Wörterbüchern, sind die Suchanfragen für „Gaslighting“ im Jahr 2022 um 1.740 Prozent gestiegen.
Duolingo kürt den Satz des Jahres 2022
Die Sprachlern-App Duolingo wählt jedes Jahr nicht nur ein Wort, sondern einen ganzen Satz, der mit einem Augenzwinkern das zuende gehende Jahr widerspiegelt. „Dieses Jahr haben wir als Satz des Jahres einen Satz ausgewählt, den Spanisch-Sprechende genauso in unserem Englischkurs lernen”, erklärt Rebeca Ricoy von Duolingo. „Er bringt auf den Punkt, wie sich das Jahr 2022 für viele angefühlt hat – nämlich ganz schön unsicher.” Der Satz des Jahres 2022 lautet: „Please don’t cancel my plans”, frei übersetzbar mit „Bitte streich’ meine Pläne nicht!” und bezieht sich auf die allgemeine wirtschaftliche und pandemische Lage inklusive Rekord-Flugausfällen, Naturkatastrophen in Urlaubsgebieten und steigende Reisekosten.
Mehr als ein deutsches Wort des Jahres
Übrigens gibt es in der deutschen Sprache nicht nur ein Wort des Jahres: Zusätzlich werden von unterschiedlichen Organisationen und Veranstaltern in einigen Dialekten und Sonderkategorien Worte gewählt. So lautet das schönste plattdeutsche Wort des Jahres „Dunnerlüchting”, das sowohl Verwunderung als auch Freude ausdrückt. Aber auch ein aktueller plattdeutscher Ausdruck wird jährlich vom Fritz-Reuter-Literaturmuseum und dem Heimatverband gekürt, 2022 war das „Tippschnack” für chatten.
In Sachsen wählen die Sächsische Zeitung und MDR Sachsen ebenfalls ein Wort des Jahres, dieses Mal „Därre” – genutzt für lange Trockenheit und Kälte oder auch als Beleidigung für auffällige Schlankheit. Und dann ist da noch „waafn”, das oberfränkische Wort des Jahres. Ursprünglich bedeutete es „weifen”, also das Abwickeln des Garns von der Spule auf eine Weife, aber da das Weifen vor allem eine Frauenarbeit war und man Frauen nachsagt, gerne zu plaudern, bedeutet „waafn” heute oft „schwatzen”. Das Jugendwort des Jahres 2022 lautet „smash”.
Wie eine deutsche Tradition die Welt eroberte
In Deutschland hat die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) 1971 erstmalig und seit 1977 regelmäßig das Wort des Jahres bekanntgegeben. Diese Tradition hat sich allmählich auf dem Globus ausgebreitet. Der älteste Nachahmer ist die American Dialect Society (ADS), die traditionell Anfang Januar ihr Wort des Jahres für die Vereinigten Staaten verkündet.
In anderen Ländern lässt man sich ebenfalls etwas mehr Zeit als bei uns: Polen, Luxemburg, Liechtenstein, Portugal, Frankreich, Slowenien, die Niederlande und Dänemark bestimmen derzeit noch das für sie prägendste Wort des Jahres.