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27.12.2024

 

 

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Der Kimera Evo 37

... die Wiedergeburt einer Lancia-Ikone



(Bernd Ostmann, Autoren-Union Mobilität) Der Fotograf ist zunächst enttäuscht. Zeigte sich das Showcar im knalligen Rot, so ist das Testauto weiß lackiert. „Das wirkt auf den Fotos überhaupt nicht“, so sein knapper Kommentar.

Das sitzt. Dabei ist das Wetter perfekt. Sonnenschein. Piemont zeigt sich an diesem Tag von seiner perfekten Seite. Aber spätestens als der Vierzylinder des Kimera Evo 37, der sich unter einer Plexiglasscheibe sonnt, mit einem dumpfen Grollen zum Dienst meldet, hellt sich auch die Miene des Fotografen wieder etwas auf.

Sofort sind die alten Rallyeszenen vor dem geistigen Auge wieder parat. Als Walter Röhrl 1983 im heckgetriebenen Lancia 037 bei der Rallye Monte Carlo allen Allradlern aufs Haupt schlug. Doch war der Lancia eine puristische Rallye-Maschine, so präsentiert sich der Kimera Evo 37 heute zumindest im Innenraum weit ziviler: Armaturenbrett und Sitze sind mit feinem Alcantara ausgeschlagen. Der Schalthebel ragt wie eine mechanische Skulptur aus der Mittelkonsole – und er verlangt etwas Nachdruck. Auch die Rennkupplung mag etwas Drehzahl. Also Drehzahl hoch, Kupplung raus. Und der Kimera sprintet nach vorn. Die Getriebeübersetzung erscheint etwas kurz. Schon nach wenigen Metern verlangt der Sportler nach dem zweiten Gang. Die Schaltpause ist kurz – aber eindrucksvoll: Denn der Kompressor steigt jetzt mit einem gewaltigen Zischen in die beeindruckende Geräuschkulisse ein.

Aber für eine Schrecksekunde ist keine Zeit. Die erste Kurve droht. Der Kimera lässt sich erstaunlich flink einlenken. Dann die nächste, engere Biegung. Die innenbelüfteten Bremsscheiben, vorn und hinten mit einem Durchmesser von 365 Millimetern, die rotlackierten Brembo-Festsättel in Kombination mit den breiten Pirelli-Walzen haben keine Mühe den gerade mal 1000 Kilogramm schweren Zweisitzer einzufangen. In den folgenden Wechselkurven zeigt der Kimera sein wirkliches Talent. Ein wahrer Kurvenkünstler. Leichtfüßig hechtet er von einer Biegung in die nächste. Die Handlichkeit ist verblüffend. So flink muss ein gut ausbalanciertes Rallyeauto sein. Hier, auf der kleinen Rennstrecke in der Nähe von Cuneo und auf den schmalen Bergsträßchen vor dem Monte Viso, hat der Kimera das Laufen gelernt.



Kein Wunder, dass einer seiner Lehrmeister der Ex-Rallyeweltmeister Miki Biasion ist. Und auch Luca Betti, der Mann hinter dem Kimera-Projekt, ist vom Fach. Er hat die Leidenschaft zu Lancia schon von Kindesbeinen an aufgesaugt: Sein Vater fuhr Rallyes im Lancia Stratos. Und der Sohn setzte die Tradition fort, war 15 Jahre lang als Rallye-Profi bei verschiedenen Marken aktiv. „Mein Leben ist eine Evolution“, erklärt der Jungunternehmer. „Vom Rallyeprofi wechselte ich ins Motorsport-Management, gründete mein eigenes Team. Dann baute ich mein Unternehmen um und restaurierte Oldtimer. Schließlich startete ich mein Kimera-Projekt.“

Das Logo, das sein Auto ziert, ist eine Chimäre, ein Fabeltier aus der griechischen Sage, ein Löwe mit Flügeln. Betti benutzt die Gestalt und modifizierte den Namen. Aus Chimäre wurde Kimera. Auf seinem beruflichen Weg sieht er den Kimera als eine konsequente Weiterentwicklung. Betti erklärt: „Auch Enzo Ferrari hatte, als er seine eigene Autoproduktion startete, mit einer Evolution eines Alfa Romeo begonnen.“ Sein Kimera ist für ihn die moderne Interpretation der erfolgreichen Lancia-Historie, „Lancia ist eine Marke unserer Region, eine Marke, auf die ganz Italien stolz sein konnte.“

1969 hatte die Agnelli-Familie Lancia ins Fiat-Imperium eingegliedert. 2014 erklärte Fiat-Boss Sergio Marchionne, dass die italienische Traditionsmarke eingestellt werden sollte. Tatsächlich ist sie derzeit nur noch in Italien präsent. Doch mit der Fusion von PSA und FCA im letzten Jahr gab CEO Carlos Tavares bekannt, man wolle wieder in Lancia investieren. Betti hat diesen Schritt längst vollzogen, denn „Lancia ist ein Teil unseres Lebens“. Sein Kimera „ist eigenständig, nicht so digital. Und er ist kompromissloser als andere Supersportwagen. Kein Classic-Car, sondern ein Mix aus alt und neu.“



Er ist eine Evolution, ein Restomod, mit Elementen des Rallye 037 und des Delta S4. „Wir haben die schöne Optik des 037 und den Antrieb des S4 in einem Auto zusammengebracht“, so Betti. Die Basis, die Fahrgastzelle, stammt wie beim 037 vom alten Lancia Beta Montecarlo ab. Die Vorderachse mit den Kühlern und der Antriebsstrang mit der Hinterachse sitzen in einem soliden Rohrverbund aus hochmodernem Stahl.

Den Vierzylinder hat Claudio Lombardi, der schon die Rallyemotoren baute, auf Basis des S4-Triebwerks weiterentwickelt. Aufgeladen wird der 2,2-Liter-Vierzylinder durch einen Volumex-Kompressor und einen Turbolader. Früher musste der Serien-037 mit 205 PS auskommen. Und die Rallye-Artisten von einst mussten sich mit 350 PS abmühen. „Unsere Evolution mit modernen Materialien, modernen Fertigungsmethoden und modernster Elektronik“, erklärt Betti nicht ohne Stolz, „bringt heute 505 PS.“ Bemerkenswert ist auch das Spitzendrehmoment von 500 Newtonmetern, wobei 400 Nm bereits bei moderaten 2000 Touren anliegen. Ein wahrer Drehmoment-Berg, der eigentlich in allen Drehzahllagen für satten Vortrieb sorgt.

Auf Wunsch kann die Leistung des Vierzylinders per Knopfdruck auf moderate 400 PS reduziert werden. „Und wir werden den Motor auch noch etwas weicher und geschmeidiger auslegen. Er benimmt sich noch wie ein nervöses Baby“, sagt Betti. Auch der Auspuffsound dürfte noch etwas ziviler abgestimmt werden. Allerdings kann man über ein Klappensystem wieder auf den vollen Sound umschalten.



Stammt der Motor in seiner Basis von Lancia, so kommt das Sechs-Gang-Getriebe aus dem VW-Baukasten und wurde einst für den Lamborghini Gallardo und den Audi R8 entwickelt. Auf Wunsch wird es auch eine einstellbare Traktionskontrolle geben. Einiges am ersten Kimera entspricht noch nicht dem Serienstand. Beispielsweise das Armaturenbrett oder die Sitze; sie sollen im Serienauto noch etwas besser aufgepolstert werden.

Die Brembo-Bemsen in Kombination mit dem Bosch-Renn-ABS packen heftig zu, und mit den flachen Prototypen-Schalensitzen läuft man Gefahr, dass man, wenn die beiden Bein-Gurte nicht wirklich fest angezogen sind, einfach in Richtung Fußraum wegrutscht. Aber darum wird sich der italienische Sicherheitsausstatter Sparco noch kümmern.

Wie Zulieferer beim Betti-Projekt überhaupt eine entscheidende Rolle spielen: Den Motor baut Italtechnica, das Chassis kommt von Bonetto, das Interieur liefert Medici. Komplettiert wird das Ganze in der Nähe von Cuneo standesgemäß im Anbau eines Herrenhauses aus dem 16. Jahrhundert, der Villa Kimera. Das imposante Gebäude beherbergt 14 Gästezimmer. Sogar der italienische König Carlo Emanuele III. soll hier schon einmal genächtigt haben.



37 Kimera werden gebaut, 24 davon sollen zum Preis von 480.000 Euro plus Steuern bereits verkauft sein. Die Kunden sind größtenteils Sammler, die bereits einige Autos besitzen. Die Kimera werden aber wohl kaum in Museen verstauben. Denn Betti betont: „Das sind Car-Guys. Alle wollen das Auto fahren.“ Und noch eines verbindet die Kimera-Gemeinde, wie Betti verrät: „Alle Autos tragen Frauennamen.“

Mit den Kunden hält er einen regen Kontakt. „Das ist mittlerweile wie eine große Familie.“ Sie kommen aus Italien, der Schweiz, aus Deutschland, Frankreich, der Ukraine, aus den USA, aus Brasilien und einer aus Japan. Ende Februar wurde das erste Auto in St. Moritz an einen Holländer ausgeliefert. Das Auto mit der Nummer eins hört auf den Namen Esmeralda. Und mit Blick auf den Fotografen verrät Betti: „Dieses Auto war nicht weiß, sondern grün lackiert.“ Danach soll pro Monat ein Auto produziert werden. Und in der Zwischenzeit wird Betti über sein nächstes Projekt nachdenken. Denn er will ja ein richtiger Autoproduzent werden.

Fotos: Autoren-Union Mobilität/Wolfgang Wilhelm

 


Veröffentlicht am: 08.04.2022

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