Ab dem 28. Juni 2025 gilt in Deutschland eine neue Vorschrift, die Auswirkungen auf mehr Verbraucher hat, als es auf den ersten Blick scheint: das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG).
Das Wortungetüm aus dem Verwaltungsdeutsch setzt national die Europäische Barrierefreiheitsrichtlinie (European Accessibility Act – EAA) um, die allen Bürgern eine diskriminierungsfreie Teilhabe am Gesellschafts- und Wirtschaftsleben ermöglichen soll. Doch damit ist nicht nur gemeint, dass für Menschen mit Behinderung sämtliche Lebensbereiche problemlos räumlich zugänglich sind – wie etwa (öffentliche) Toiletten, Busse und Bahnen, aber auch Geschäfte oder Restaurants. Vielmehr müssen in Zukunft auch Produkte und Dienstleistungen barrierefrei sein.
Was heißt das konkret? Es geht nicht allein um die Rampe an der Tür oder Blindenleitsysteme. Es geht um Inklusion – also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft. Inklusion ist ein Menschenrecht. Daher haben öffentliche Einrichtungen wie Behörden etc. schon bislang dafür zu sorgen, dass etwa ihre Internet-Seiten barrierefrei gestaltet sind – zum Beispiel mittels leichter Sprache. Das neue Gesetz verpflichtet nun auch Privat- und Handelsunternehmen, ihre Onlineauftritte sowie ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anzulegen. Dazu zählen unter anderem der gesamte Online-Handel, Hardware, Software, aber auch Personenverkehr oder Bankdienstleistungen. Behindertenverbände kritisieren allerdings eine zu mutlose Umsetzung der europäischen Vorgaben mit zu langen Übergangsfristen im deutschen BFSG.
Allen Menschen die Teilhabe am Wirtschaftsleben zu ermöglichen, gilt übrigens nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern schließt bewusst auch „andere Menschen mit funktionellen Einschränkungen, wie ältere Menschen, Schwangere oder Reisende mit Gepäck“ mit ein, wie es in der (EAA)-Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des EU-Rates heißt. Sie sollen ebenfalls von dieser Richtlinie profitieren. Der Begriff „Menschen mit funktionellen Einschränkungen“ im Sinne der Richtlinie umfasst demnach „Menschen, die dauerhafte oder vorübergehende körperliche, seelische, geistige oder sensorische Beeinträchtigungen, altersbedingte Beeinträchtigungen oder sonstige mit der Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers zusammenhängende Beeinträchtigungen haben, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren dazu führen, dass diese Menschen verminderten Zugang zu Produkten und Dienstleistungen haben“.
Dazu zählen unter anderem ebenfalls Menschen mit wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien. Daher fordert das neue Gesetz speziell auch digitale Barrierefreiheit – und zwar EU-weit einheitlich. Damit soll ebenfalls erreicht werden, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen die Möglichkeiten des europäischen Binnenmarktes besser ausschöpfen können. Durch die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen will der EU-Gesetzgeber einen „Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts“ leisten, wie er betont.
Welche Produkte und Dienstleistungen sind nun konkret vom BFSG betroffen? Laut dem Gesetz gehören zu Produkten, für die Barrierefreiheit verlangt wird: Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher incl. Betriebssysteme (z. B. Computer), Selbstbedienungsterminals, wie etwa Geldautomaten oder Check-In-Automaten, Verbraucherendgeräte, die für Telekommunikationsdienste gebraucht werden (z. B. Mobiltelefone), Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang (z. B. interaktive Fernseher) und E-Book-Lesegeräte.
Zu den Dienstleistungen, die künftig barrierefrei zu sein haben, zählen Telekommunikationsdienste (Telefonie, Messenger etc.), Elemente der Personenbeförderungsdienste wie etwa Webseiten, Apps oder elektronische Ticketdienste, Bankdienstleistungen, E-Book-Software sowie Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern wie beim E-Commerce oder Online-Termin-Buchungs-Tools. Das betrifft in jedem Fall auch Webshops und Apps, wie die IHKn betonen.
Importeure von Produkten, die in den Anwendungsbereich des BFSG fallen, dürfen diese Produkte ebenfalls nur noch in den Verkehr bringen, wenn sie den vorgeschriebenen Barrierefreiheitsanforderungen genügen. Lediglich Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und höchstens zwei Millionen Euro Jahresumsatz, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen, sind vom BFSG ausgenommen. Wie Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten sind, ist in der Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen nach dem BFSG (BSFGV) geregelt. Werden deren Anforderungen nicht eingehalten, drohen Bußgelder bis 100.000 Euro. Zudem besteht die Möglichkeit einer Abmahnung wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht, warnen die IHKn.
Von der Umsetzung des European Accessibility Acts in nationales Recht versprechen sich Behindertenverbände europaweit „einen großen Schritt in Richtung einer inklusiveren Gesellschaft“, wie es die Aktion Mensch formuliert. Doch das deutsche Barrierefreiheitsstärkungsgesetz geht einigen Behinderten-Fachverbänden nicht weit genug und ermöglicht zudem aus ihrer Sicht zu viele Ausnahmen. Sie kritisieren eine „mutlose Minimalumsetzung“ der europäischen Vorgaben. So bemängelt etwa der Sozialverband VdK, dass bis zum Jahr 2025 bereits aktive Bankautomaten barrierefrei eingerichtet sein müssen, neue, nicht barrierefreie Automaten, die bis 2025 aufgestellt werden, jedoch erst bis 2040. Somit könnten Unternehmen noch kurz vor dem 28. Juni 2025 nicht-barrierefreie Automaten aufstellen und diese theoretisch bis 2040 laufen lassen, moniert der VdK. „Mit derart langen Übergangsfristen kommen wir einer inklusiven Gesellschaft nur im Schneckentempo näher“, mahnt VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Darüber hinaus sichere das BFSG zum Beispiel nicht den Zugang zu einem Gebäude, in dem ein barrierefreier Bankautomat steht, lautet ein weiterer Kritikpunkt der Behindertenverbände. Die bauliche Umwelt bleibe komplett außen vor, zitiert die Aktion Mensch die VdK-Chefin. „Was nutzt den Menschen ein barrierefreier Fahrkartenautomat, der nur über Stufen zu erreichen ist“, fragt sie. „Treppen, enge Türen, kaputte oder nicht vorhandene Fahrstühle sind bittere Realität“, so Bentele. Gerade in der Privatwirtschaft und bei Bestandsbauten sieht sie hier enormen Nachholbedarf. „Menschen mit Behinderungen stehen immer wieder vor Barrieren, die sie nicht überwinden können. Da muss endlich etwas geschehen“, fordert Verena Bentele.
Quelle: GOSLAR INSTITUT
Barrierefreiheit
Neue Vorgaben ab Juni 2025
Veröffentlicht am: 27.01.2025
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