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Einen Erlkönig entdeckt – Beim Parken erwischt

Meister des Verwirrens



Dagmar Kiwitz aus Berlin ist eine begeisterte Autofahrerin. Noch lieber ist die nephrologische Fachkrankenschwester mit ihrer Honda 600 RR unterwegs. Sie hatte nicht unbedingt davon geträumt, einen Erlkönig zu suchen und zu finden. Meister Zufall half.


Am 1. Januar 2024 stand vor dem Hotel „Schwedischer Hof“ in Binz (Insel Rügen) ein Erlkönig, nebst Fahrer. Der Erlkönig-Lenker wohnte in derselben Unterkunft. „Eines war klar: Ich musste unbedingt das Auto im Dazzle-Muster fotografieren. Heute würde ich noch den Chauffeur interviewen“, betont Kiwitz.

Nun das Dazzle-Muster ist das Eine und der Erlkönig das Andere: Der Erlkönig ist eine Ballade vom Sprachgenie Johann Wolfgang von Goethe, die er im Jahr 1782 verfasste. Sie gehört zu seinen bekanntesten Werken und wurde auch von Franz Schubert und Carl Loewe vertont. Es handelt sich um ein Stück, das von einem Vater erzählt, der mit seinem kranken Kind in der Nacht auf einem Pferd reitet. Während des Ritts durch den dunklen Wald hat das Kind Träume von einer unheimlichen Gestalt, dem Erlkönig, der es zu sich locken will.

Oder eine andere Deutung: Viele Interpretationen des Werkes gehen von der Nicht-Existenz dessen aus, was der Knabe wahrnimmt. Sie sehen (wie der Vater) den Erlkönig als bloße Ausgeburt von Angst- und hohen Fieberträumen sowie als Ausdruck der Krankheit des Knaben, die ihn am Schluss der Ballade tötet.

Doch was hat der Erlkönig mit der Automobilindustrie zu tun? Zwei signifikante Signalworte vereinfachen den Kontext: Tarnen und Verwirren. Und das ist die Geschichte! Bevor Autobauer ihre neuen Modelle der Öffentlichkeit präsentieren, müssen sie diese Fahrzeuge auf Herz und Nieren testen.

Diese Autos sollen Mitbewerber, Medien und potenzielle Käufer sowie Käuferinnen das Gesicht der Neuwagen zumindest verschleiern oder täuschen. Denn der Erlkönig ist ein getarntes Prototyp-Auto; die Automobilhersteller testen ihre Neuigkeiten bis auf die letzte Naht und das unter Realbedingungen. Die getarnten Autos sind oft mit einem matten Schwarz überzogen. Inzwischen treffen die Jäger auf immer mehr Fahrzeuge, die mit unterschiedlichen schwarz-weißen Mustern überzogen sind. Diese Muster heißen „Mimikry“.

Sie werden daher meist in dünn besiedelten Regionen visitiert; so in Finnland, Schweden oder anderswo. Konzerne wollen somit vermeiden, dass die Konkurrenz zu viel abkupfert. Doch geschickte Erlkönig-Jäger (Paparazzi) finden immer wieder die begehrten (meist) Edelkarossen. Aber nicht nur die Profi-Jäger bekommen die getarnten Modelle vor die Kamera; auch andere Menschen melden Treffer. So wie Dagmar Kiwitz aus Berlin.

In den 1950er Jahren veröffentlichten die deutschen Autojournalisten Heinz-Ulrich Wieselmann und Werner Oswald ungefragt Fotos von Erprobungsfahrzeuge. Das war auch eine Ansage an die Autobauer, deren Monopolmacht zumindest wankte. Fortan partizipierte davon ein Millionenpublikum. Mit Smartphone-Kameras und ultrahoher Auflösung kommen Fotografen aktuell leichter und öfter an ihre Beute. Aber die Hersteller halten dagegen: Nach dem Motto Hase & Igel - Immer raffiniertere Tarnfolien entstehen.

Dagmar Kiwitz hat sich entschieden, sie schließt sich den Prototyp_Jägern an, aber nur im Ehrenamt...

Text: Erwin Halentz
Foto: Dagmar Kiwitz

 


Veröffentlicht am: 20.12.2024

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