In einem Verfahren die Rechte vieler Verbraucher durchsetzen – das ist Sinn und Zweck der sogenannten Sammelklage. Damit werden die Ansprüche von Tausenden Geschädigter gebündelt und gemeinsam eingeklagt. Von dieser Klageform haben – besonders prominent – unter anderem bereits viele Autokäufer im Rahmen des „Dieselskandals“ profitiert.
Nun gehen mehrere Zehntausend Patienten per Sammelklage gegen den niederländischen Elektro- und Medizintechnikkonzern Philips vor. Ihr Vorwurf: Beatmungsgeräte der Firma Philips Respironics sollen zur Schalldämmung mit einem Schaumstoff versehen sein, der sich in Partikel auflösen und von den Patienten eingeatmet werden kann. Zudem seien demnach in einigen Geräten möglicherweise gesundheitsgefährdende Chemikalien entdeckt worden.
Nach Einschätzung der Tagesschau war es der bislang wohl größte Rückruf eines Medizinproduktes. Im Sommer 2021 veröffentlichte die Firma Philips Respironics, eine US-Tochter des niederländischen Konzerns, über das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine „dringende Sicherheitsinformation“ für Anwender zu bestimmten Problemen mit Serien ihrer Beatmungsgeräte. In der Warnung hieß es, die betreffenden Atemgeräte könnten „lebensbedrohliche“ Verletzungen verursachen. Konkret wurde damit das Risiko einer Krebserkrankung umschrieben.
Hierzu hatte es allerdings schon sehr viel früher Warnungen in Medien gegeben. So zitiert die Tagesschau Daten der US-Gesundheitsbehörde FDA, denen zufolge ihr schon 2010 ein Fall gemeldet wurde, bei dem „sich der schalldämpfende Schaumstoff eines Geräts zersetzte und bei dem Patienten Lungenkomplikationen verursachte, die zum Tod führten“. Es folgten demnach weitere Medienberichte zu sich zersetzendem Material oder schwarzen Partikeln in den Beatmungsgeräten. Bei Philips soll man laut dem FDA-Bericht spätestens Ende 2015 auf das Problem aufmerksam geworden sein. Wie der Konzern betont, wurden die Probleme von Fall zu Fall geregelt. Mitte 2021 – also elf Jahre nach der ersten unterdessen bekannten Meldung – lief dann eine Rückrufaktion des Unternehmens an.
Doch der notwendige Austausch der betreffenden Geräte verläuft aus Sicht – nicht nur – der AOK zu schleppend. Statt Patientinnen und Patienten zeitnah auch mit Geräten anderer Hersteller zu versorgen, verzögere Philips den Prozess, sodass immer noch schadhafte Geräte im Gebrauch seien, kritisiert die Krankenkasse. Gleichzeitig lehne das Unternehmen die Übernahme sämtlicher Kosten des Serienschadens, die durch den Austausch der Geräte entstehen, weiterhin ab. Auch Verhandlungen mit den Krankenkassen darüber verweigert Philips demnach, sodass die Kassen nun auf den juristischen Weg setzen – indem sie per Sammelklage gegen den Konzern vorgehen.
Nach Auskunft der auf Medizinrecht spezialisierten Kanzlei Hemmerich & Rohde aus dem südhessischen Reichelsheim sollen sich inzwischen bereits über 35.000 Betroffene der Sammelklage gegen Philips angeschlossen haben. Das deckt sich mit der Feststellung der AOK, das Interesse auf Patientenseite daran sei hoch. Am 31. Dezember 2024 endete die Frist, innerhalb derer man sich an der Sammelklage gegen Philips beteiligen konnte.
Im Frühjahr vergangenen Jahres schloss Philips in den USA einen milliardenschweren Vergleich: Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, bezahlte Philips Respironics 1,1 Milliarden Dollar an die Betroffenen – wie in solchen Fällen üblich ohne eigene Schuldanerkennung. Nach Schätzungen der Kanzlei Hemmerich & Rohde soll sich der gesamte Schaden weltweit auf 2,8 Milliarden Euro belaufen. Die Zahl der betroffenen Nutzer der Philips-Atemgeräte veranschlagt das Global Justice Network (GJN), zu dem die deutsche Kanzlei gehört, in Europa auf mehr als 1,2 Millionen Menschen. In dem Netzwerk sind nach eigenen Angaben Anwälte und Juristen aus mehr als 40 Ländern zusammengeschlossen, die Geschädigte und Opfer aus verschiedenen Ländern vertreten.
Sie gehen nun gemeinsam mit Verbraucherschützern und Krankenkassen mittels Sammelklage gegen Philips vor. Die Anwälte fordern nach Angaben des GJN 70.000 Euro pro Opfer, was einer Gesamtsumme von 84 Milliarden Euro entsprechen soll. Begründet wird diese Forderung mit einem erlittenen emotionalen Trauma. Zudem verlangen die Kläger auch eine zusätzliche Entschädigung für Patienten, die tatsächlich durch die fehlerhaften Beatmungsgeräte gesundheitliche Probleme erlitten haben, sowie für die Familien der verstorbenen Patienten.
Das Ergebnis einer solchen Klage soll „einen Höhepunkt in der Rechtsprechungsgeschichte des europäischen Rechtsverfahrens“ darstellen, erklärt das GJN. Denn es werde den Weg für viele zukünftige europaweite Sammelklagen ebnen, wie sie derzeit mit der Klage gegen das niederländische Unternehmen erfolge.
Das Verfahren findet nun in Mailand statt, als Klassen- oder Gruppensammelklage vor dem Tribunale di Milano Sezione XIV. Warum Italien? Weil dort die Regelungen zur Durchsetzung von Schadenersatz einfacher sind, wie die AOK erläutert. Die Kasse sieht in den italienischen Vorgaben auch eine gute Vorlage dafür, wie das Patientenrechtegesetz in Deutschland geändert werden müsse. Daher fordert die AOK die nächste Bundesregierung auf, die Rechte betroffener Patientinnen und Patienten zügig entsprechend zu stärken, erklärt Dr. Carola Reimann, die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Dieser misst dem in Italien stattfindenden Prozess zur Sammelklage gegen Philips das Potenzial bei, „die Interessen der Versicherten wirkungsvoll durchzusetzen“.
Doch mit dem Verfahren in Mailand soll es nicht getan sein. Denn die AOK und andere Krankenkassen beabsichtigen, von Philips auch Ersatz für weitere Aufwendungen, wie etwa Behandlungskosten infolge der schadhaften Beatmungsgeräte, zu erstreiten. In dieser Sache soll demnach in Deutschland Klage geführt werden.
Quelle: GOSLAR INSTITUT
Sammelklage gegen Philips
... soll Zehntausenden geschädigter Patienten zu ihrem Recht verhelfen
Veröffentlicht am: 06.02.2025
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