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Zeitgut-Weihnachtsgeschichte: Neid und Freude am Heiligabend

... von Renate Reinke



Alle Jahre wieder bieten wir Ihnen in Zusammenarbeit mit dem Zeitgut-Verlag auch diesmal stimmungsvolle Weihnachtsgeschichten. Lebendige Originalfotos und Illustrationen runden diese ergreifenden Geschichten aus der Buchreihe "Unvergessene Weihnachten" ab.


(Limbach-Oberfrohna, Landkreis Zwickau, Sachsen, damals DDR; Anfang 1950er Jahre) Erinnerungen an schöne Zeiten sind ein kostbarer Schatz, den uns niemand stehlen kann. Selbst wenn wir alles verlo- ren haben, bleiben sie uns erhalten. Beim Anblick eines Ted- dys wird mir noch heute warm ums Herz, obwohl diese Ge- schichte fast ein Leben zurückliegt.

Weihnachten war in unserer Familie stets ein wunderschö- nes, mit vielen Traditionen verbundenes Fest. So schwer es in der Nachkriegszeit auch war, meine Eltern versuchten immer, die Feiertage so stimmungsvoll wie möglich zu ge- stalten und mir meine kleinen Wünsche zu erfüllen. Wegen der damals so schwierigen Beschaffung von Geschenken und weil so manches schöne Stück auch von den Erwachsenen selbst angefertigt wurde, fingen die Heimlichkeiten bei uns meist schon recht früh an. So kam meine Mutti bereits eines Tages im November freudestrahlend mit einem Päckchen für meinen zweijährigen Cousin Matthi nach Hause. Darin war ein goldfarbener Teddy mit einem plüschartigen Fell. Drückte man auf den Bauch, ließ er einen dunklen Brummton hören.

Denke ich an unsere heutigen kuscheligen Schmusebär-chen in den Spielzeuggeschäften, war er ein eher unansehnliches, ziemlich hartes, wenig anziehendes Tierchen – jetzt wohl ein absoluter Ladenhüter. Doch als ich damals den Teddy sah, war es sofort Liebe auf den ersten Blick. Obwohl ich 85Renate Reinke: Neid und Freude am Heiligabend schon zehn Jahre alt war, nutzte ich, während meine Eltern zur Arbeit waren, jede Gelegenheit, mich heimlich zum Schrank zu schleichen, um das Objekt meiner Sehnsucht zu betrachten und es zärtlich in den Arm zu nehmen. Es gelang mir zum Glück immer rechtzeitig vor ihrem Eintreffen, das Plüschtier vorsichtig zurückzulegen. Ob es meine Eltern wohl bemerkt haben?

Ich glaube schon, obwohl sie nie ein Wort darüber verlo-ren. Aber das schlechte Gewissen stand mir bestimmt ins Gesicht geschrieben.

Je näher das Weihnachtsfest rückte, um so größer wurde die Vorfreude. Doch diesmal mischte sich auch eine gehörige Portion Traurigkeit darunter. Schließlich mußte ich mich ja dann auch von „meinem“ geliebten Bärchen trennen. Bei uns zu Hause war es üblich, daß ich am Nachmittag kleine Geschenke zu unseren Verwandten brachte, während meine Eltern alles in Ruhe für den Abend vorbereiteten. Eine Aufgabe, die ich immer sehr gern übernahm und mit viel Spaß ausführte. Nur dieses Jahr nicht!

Ich machte einen größeren Umweg und zögerte den Besuch meines Cousins bis zuletzt hinaus. Als ich dann Matthi das hübsch verpackte Geschenk überreichte, riß er aufgeregt das Papier ab, streckte dann begeistert seine Ärmchen nach dem Teddy aus und drückte ihn fest an sich. Seine leuchtenden Augen erfüllten mich – zumindest für den Augenblick – mit Freude, denn schließlich hatte ich den Kleinen ja sehr lieb.

Aber auf dem Heimweg krochen dann doch unweigerlich ziemlich häßliche Neidgefühle in mir hoch und meine Gedanken wanderten zu dem Kuscheltier, das jetzt wohl in Matthis Armen lag. Doch nach und nach begann ich, mich für meine Mißgunst zu schämen. Wie konnte ich nur gerade am Heiligabend so egoistisch sein?!

Zögernd stapfte ich durch die tiefverschneiten Straßen nach Hause. Die Fenster mit ihren hellstrahlenden Tannen- 86 Renate Reinke: Neid und Freude am Heiligabend bäumen und die vereinzelten Weihnachtsmänner, die eilig ihrem Ziel zustrebten, konnten mich diesmal nicht so recht begeistern.

Zu Hause erwartete mich eine festlich geschmückte Stube und die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten. Als mich meine Eltern in die Arme schlossen, stellte sich endlich wieder das warme, vertraute Gefühl ein – es war Weihnachten! Das Festessen und das gemeinsame Singen schienen sich heute besonders lang hinzuziehen. Doch endlich läutete das traditionelle Glöckchen – die Bescherung konnte beginnen!

Mein Vati hatte mit viel Liebe und Mühe den erzgebirgischen Weihnachtsberg*) für mich neu gestaltet, meine Puppenstube war frisch tapeziert und die Püppchen hatten neue Kleider. Auch manch anderen Wunsch hatten die Eltern mir erfüllt, was Anfang der Fünfziger Jahre gar nicht so leicht war. Ich freute mich ehrlich über alles und war meinen Eltern sehr dankbar. Trotzdem drängten sich, ob ich nun wollte oder nicht, die Bilder meines verschenkten Lieblings immer wieder vor mein geistiges Auge. Doch stets ließ ein Blick auf die so liebevoll für mich ausgesuchten Überraschungen diese Gedanken schnell wieder verblassen.

Nach einiger Zeit brachte meine Mutti noch ein geheimnisvolles Päckchen, das sie angeblich zur Bescherung vergessen hatte. Was mochte wohl darin sein? Mit Spannung löste ich das Schleifenband und die Verpak- kung. Was jetzt sicher für jeden klar ist, für mich war es damals eine riesige und für den Moment völlig unbegreifliche Überraschung. Es war mein Teddy!

Aber wie kam er nur wieder zurück zu mir?

Doch bevor ich mir darüber den Kopf zerbrach, drückte ich ihn einfach nur fest an mich. Jetzt waren Weihnachten und die ganze Welt für mich völlig in Ordnung! Noch heute ist mir unklar, wie es meine Mutti unter den damaligen Nachkriegsbedingungen geschafft hat, diesen zweiten Kuschelbär zu erstehen.

*) Weihnachtsberg: Ein oft sehr kunstvoll gestaltetes Panorama mit vielen Figuren, das die Geburt Christi, mitunter auch dessen gesamtes Leben, darstellt, nicht selten mit beweglichen Teilen. Oftmals ist es auch eine Nachgestaltung eines typischen erzgebirgischen Dorfes zur Weihnachtszeit. Der Weihnachtsberg gehört zur traditionellen erzgebirgischen Volkskunst.




Unvergessene Weihnachten Band 8

Zeitgut Verlag Berlin 
Preis: 8,90 Euro
ISBN: ISBN: 978-3-86614-211-4

ACHTUNG: Alle Zeitgut-Bücher werden bis Ende 2025 kostenfrei versendet!

 


Veröffentlicht am: 08.12.2025

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