Abstand halten hat alle Chancen zumindest in die engere Auswahl zum Wort des Jahres zu kommen. Es ist schon merkwürdig, für mich noch immer viel eher befremdlich, wenn ich niemanden die Hand geben soll, andere reden sogar von nicht dürfen.
Es fällt mir noch immer schwer, jedem anderen Menschen auszuweichen, als hätte er die Pest, die Cholera und die Krätze gleichzeitig. Wir sind schließlich soziale Wesen, die soziale Kontakte wie die Luft zum Atmen brauchen. Doch wir lassen uns genau das verbieten und niemand ahnt – zumindest habe ich noch nichts dergleichen gehört – was diese soziale Isolierung mit mir, mit uns Menschen macht.
Nun bin ich in der glücklichen Lage mit einem geliebten Menschen zusammen zu leben. Ich bin auch in der glücklichen Lage, mich auf ein Dorf zurück ziehen zu können. Hier ist die Gefahr, auf einen mit dem Coronavirus Infizierten zu treffen, sehr gering. Folglich weichen einem die Leute nicht so auffällig aus, als wäre man ein Aussätziger.
Doch ich sprach in den vergangen Tagen mit Menschen, die allein leben. Sie hatten bis vor wenigen Tagen für über zwei Monate keinen direkten Kontakt zu einem anderen Menschen. Entweder war bei ihnen die Angst groß genug oder bei ihren Mitmenschen. Doch das Ergebnis ist das gleiche – sie haben fast verlernt, wie es ist, fremde Haut, einen Händedruck zu spüren, zu küssen oder gar zu lieben. Ja, das tun auch Singles. Die leben zwar allein, sind das aber nicht zwangsläufig. Und wenn, dann gibt – gab es auch noch die käufliche Liebe.
All das gibt es nicht mehr und wenn nur sehr, sehr eingeschränkt. Darauf weisen beispielsweise Zeitungen hin, die von Inseraten leben. Es gibt kaum noch Partnersuche-Anzeigen und wenn, dann stecken dahinter fast nur professionelle Anbieter. Auch die Angebote von Sexarbeiterinnen gehen gegen null. Es scheint, dass zwischenmenschliche Kontakte nur noch beim Arzt oder beim Friseur möglich sind – allerdings auch nur durch den Gummihandschuh.
Als Mann, der viele Jahre Single war, kann ich mich noch sehr gut in die Menschen hineinversetzen, die gerade in diesen Wochen auf jeden direkten Kontakt mit Menschen verzichten müssen – auch wenn sich da ganz leise etwas lockert. Man sitzt zuhause und kann kaum etwas anderes machen, als sich mit sich selber zu beschäftigen. Für mich kommt so ein Leben wie die luxuriöse Variante der Einzelhaft schon ziemlich nahe.
Die Gefahr, sich hängen zu lassen, sich selber zu vernachlässigen wächst Tag für Tag. Wozu etwas gesundes essen, wozu jeden Tag duschen, wozu raus zu gehen, wozu Staub wischen, wozu jemanden anrufen? Wer dann auch noch ohne Job oder im Home Office tätig ist, ist sozial völlig abgehängt. Das schlimme daran ist, dass ich weit und breit keine Angebote für solche Menschen sehe. Ich sehe auch nicht, dass nach der Krise tausende von Psychologen zur Verfügung stehen, diese Menschen wieder in normale Leben zurück zu holen. Die gab es nämlich schon vor Monaten kaum.
Mich würde mal interessieren, wie die aktuelle Selbstmordstatistik aussieht und ob man sich mal die Mühe macht, coronabedingte Suizide aufzulisten.
Ja, nicht jeder Single ist selbstmordgefährdet, nicht jeder „vergammelt“ gerade zuhause. Doch ich sehe die Gefahr, dass hier sehr viele Menschen hinten runter fallen – und das müsste nicht sein.
Ich freue mich jetzt wie jeden Morgen auf das Frühstück mit der Besten Frau der Welt.
Ich wünsche Ihnen ein genussvolles Frühstück und Gesundheit.
Gratulation allen, die heute Namenstag haben: Joachim, Mamertus
Foto: Pixabay
Morgengruß von Helmut Harff: Abstand halten
... auch als Single?
Veröffentlicht am: 11.05.2020
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