Um Missverständnissen vorzubeugen: Mein Elektroauto hat mich überrascht mit guter Reichweite, die wegen pfleglichen Ladens sogar steigt, mit einem Verbrauch von weniger als 16 kWh auf 100 km, mit beeindruckender Beschleunigung und einer Höchstgeschwindigkeit von rund 170 km/h (Tacho).
Mein Kona Electric hat allen Komfort bis hin zur Sitzkühlung. Nur bin ich größer als der durchschnittliche Koreaner. Für den ist der Kona ein vier- bis fünfsitziges Kompakt-SUV, für unsere Breiten ein komfortabler 2+2-Sitzer.
Die positive Beschreibung verdankt der Kona auch meinen Lebensumständen, nicht nur seiner Technik. Ich wohne im Weichbild einer Großstadt im Eigenheim mit Garage. Meine typische Tagesstrecke misst 100 Kilometer. Jeder Garagenaufenthalt daheim ist auch Gelegenheit zum Tanken. Das kostet mich täglich keine Minute: zwei Stecker in die passenden Dosen und morgens wieder raus. Die Bestechungsgelder vom Bund, die Freundlichkeiten des Finanzamts und vom Hersteller haben mich überzeugt. Übersetzt in Benzinpreise fahre ich jetzt ein Drei-Liter-Auto, ganz ohne den Rechentrick, mit dem Plug-in-Hybridautos zu solchen Werten kommen.
Wenn es nicht das niedrige Fahrgeräusch schafft, spätestens das E auf dem Kennzeichen outet mich als Elektroautofahrer. Doch der freundliche Applaus von außen bringt mich in eine schwierige Lage. Es loben mich die falschen Freunde aus den falschen Gründen.
Ich bin Egoist und nutze hemmungslos die Vorteile, die mir Technik, Hersteller und Staat in diesen Zeiten aufdrängen. Auch erlebe ich mein Elektroauto in meiner Wohnsituation als optimal. Vielen nutzen dieselben Vorteile der Elektromobilität: draußen leben, drinnen emissionsfrei fahren. Liefer-, Kurierdienste, Taxi und die Busse des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs – sie alle profitieren von der Elektromobilität, und wir alle von der besseren Luft in den Städten. Aber als Lösung für alle Verkehrs- und Klimaprobleme erweist sich die E-Mobilität als Illusion. Die Pandemie lehrt uns gerade schmerzhaft, dass die Welt doch global ist. Covid ist noch nicht vorbei, da grollt uns das Klima selbst in unseren sogenannten gemäßigten Breiten mit viel Wasser und Hitze.
Als vor anderthalb Jahren die Planung der Nachfolge-Veranstaltung für die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt begann, sah die Welt noch einfacher aus, so ganz ohne Pandemie und Klimakapriolen. Damals wähnten sich die Macher noch in der Gewissheit, mit der Elektromobilität die goldene Lösung in der Tasche zu haben. So gingen sie für die neue IAA in München davon aus, mit den beiden Stichworten „Verkehrswende“ und „Elektromobilität“ die schöne neue Welt umfassend beschreiben zu können.
Hunderte Speaker (früher: Redner) werden in ihren Keynotes (früher: Reden) beim „Summit“ (früher: Gipfeltreffen), der „Conference“ und auf den vielen „Open Spaces“ (früher: öffentlicher Raum) viele Wortschöpfungen beitragen, die sich besser „streamen“ als aussprechen lassen. Die Sprache und Tonalität der Politiker wie die der vielen Organisationen von Aktivisten und denen, die heute Digitalisierung, Vernetzung, Künstliche Intelligenz sowie die Kehrtwende für die Mobilität betreiben, zeigt, wie sehr sich die Diskussion von den Menschen entfernt hat. Sie alle klingen überraschend fremd und distanziert. Gewöhnungsbedürftig wie die vielen Insiderbegriffe wirkt die allseits zur Schau gestellte Überzeugung, man habe das Klima-Problem im Griff – mit der Elektromobilität.
Der Zeitgeist weiß es: Die individuelle Mobilität mit dem eigenen Automobil soll entweder als sozial unverträglich gelten, am besten aber durch die mit Fahrrädern oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln ersetzt, auf jeden Fall aber teurer und damit hoffentlich weniger werden. Was viele für eine weltweite Bewegung halten, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein Sonderweg reicher Länder, dem nicht einmal im Rahmen der Europäischen Union alle Mitglieder folgen können oder wollen. Außerdem vermag niemand zu erklären, wie ein paar Millionen Elektroautos gegen die klimaschädlichen Emissionen von rund 1,4 Milliarden Automobilen mit herkömmlichen Antrieben ankommen sollen, solange die Autos, Flugzeuge und Schiffe Kraftstoff aus Erdöl tanken.
Unter den 500 Rednern, den vielen ausstellenden Start-ups und vielleicht sogar unter den etablierten Experten finden sich hoffentlich viele, die auch die Alternativen zur Batterie im Besonderen und die Grenzen der Elektromobilität im Allgemeinen aufzeigen werden. Der Zeitgeist lernt gerade dazu, der bayerische vielleicht sogar schneller als andere. Auch diese neue Mobilität des Denkens über Technologien wird die IAA Mobility hoffentlich transportieren.
Foto: Auto-Medienportal.Net
Der Zeitgeist spricht bald Bayerisch
Kommentar von Peter Schwerdtmann, Auto-Medienportal.Net zur IAA 2021
Veröffentlicht am: 15.08.2021
Ausdrucken: Artikel drucken
Lesenzeichen: Lesezeichen speichern
Feedback: Mit uns Kontakt aufnehmen
Twitter: Folge uns auf Twitter
Facebook: Teile diesen Beitrag auf Facebook
Hoch: Hoch zum Seitenanfang