Wer hat’s erfunden? Die alten Römer. All die Consuln, Senatoren, Cesaren und Imperatoren handelten in schweren Zeiten nach demselben Muster: Brot und Spiele. Das Volk muss satt sein und unterhalten werden.
Andere Kulturen haben andere Bilder hinzugefügt wie die volle Reisschale, zu der allerdings keine Spiele gehörten außer dem Dominoeffekt. Seit heute können auch wir Deutschen auf ein weiteres, sehr gelungenes Beispiel für die pragmatische Weisheit der alten Römer verweisen, auf das Neun-Euro-Ticket.
Die rasant wachsenden Preise für Kraftstoffe und Energie war einer der Gründe hinter der Billig-Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr, also für Busse und Bahnen. Das soll diejenigen entlasten, die auf die Öffis angewiesen sind und nicht zu den Besserverdienenden zählen. Da freut sich der sozial denkende Mensch.
Über die neun Euro für einen Monat Mobilität sollen aber auch die Autofahrer lernen, wie schön sie sich in Bus und Bahn transportieren lassen könnten, wenn sie ihr Auto stehen lassen. Das soll den Freunden der Verkehrswende die Freudentränen in die Augen treiben.
Doch jetzt steigen beiden Gruppen ganz andere Tränen in die Augen. Denn das Neun-Euro-Ticket hat offenbar für viele nichts mit Broterwerb zu tun, sondern mit Freizeitgestaltung. Schon vor dem ersten Neun-Euro-Tag wussten viele Ratgeberstorys zu berichten, wie das Ticket die ganze Familie zu Denksportaufgaben und Geschicklichkeitsspielen anstachelt: Wie kommt man mit dem Nahverkehr von Flensburg an den Bodensee oder welche Form des Ausflugs bringt der Familie den meisten Spaß? Wichtigster Tipp für den Billig-Nahverkehr in der Republik: Meiden Sie die Zeiten, in denen normale Menschen als Pendler Busse und Bahnen verstopfen.
Ein sozialer Effekt, den die Erfinder des Neun-Euro-Ticktes nun so ganz nebenbei für sich verbuchen können, ist schon jetzt erkennbar: Die Erbtanten werden mal wieder besucht, die Schwiegermütter können nun jeden Tag vor der Tür stehen, die Enkel holen sich öfter ihr Taschengeld ab und die Altenheime müssen für den Ausflug keinen Bus mehr vorhalten. Mit dem Neun-Euro-Ticket wächst die Gesellschaft zusammen.
Da ist er doch, der Effekt, den schon die Lenker des römischen Weltreichs zu schätzen wussten. Die Inflation tritt ebenso in den Hintergrund wie der Krieg in unserem Vorgarten. Stattdessen genießen wir einen verspielten Frieden fast für umsonst.
Foto: Auto-Medienportal.Net
Brot und Spiele
Kommentar von Peter Schwerdtmann, Auto-Medienportal.Net
Veröffentlicht am: 02.06.2022
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