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DEKRA: Tuning am Pedelec bringt Bremsen an ihre Grenzen

Lotteriespiel mit der Sicherheit



Ein Pedelec mit Tretunterstützung bis 25 km/h gilt trotz Motor rechtlich als Fahrrad und damit nicht als Kraftfahrzeug. Es braucht deshalb – anders als ein so genanntes S Pedelec, das bis 45 km/h unterstützt – keine eigene Haftpflichtversicherung, um am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen.


Hier zeigt sich schon das erste Problem des Themas Tuning: Wer mit einem Fahrrad einen Unfall verursacht, ist normalerweise über die eigene Privathaftpflichtversicherung abgesichert, was die Haftung gegenüber anderen angeht. „Fahrzeuge wie Mofas, Leichtkrafträder oder eben S-Pedelecs sind hier aber explizit ausgenommen, denn für sie gilt die Versicherungspflicht – sie brauchen ein Versicherungskennzeichen“, erklärt der Experte. „Das bedeutet: Wenn mit einem getunten Pedelec etwas passiert, steht der Verursacher ohne Versicherung da und haftet für angerichtete Schäden im Ernstfall allein.“

Der höhere Verschleiß der Antriebseinheit, so könnte man argumentieren, geht außer dem Besitzer selbst niemanden etwas an. Ebenso die Folgen, die man bei einer Kontrolle zu tragen hat, was das Fahren ohne Führerschein oder die für S-Pedelecs gültige niedrigere Promillegrenze angeht. Spätestens, wenn die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet wird, zieht dieses Argument aber nicht mehr. „Es ist nicht ohne Grund so, dass für S-Pedelecs nicht mehr nur die Konformitätserklärung des Herstellers für eine Zulassung im Straßenverkehr ausreicht“, sagt David Freibott. „Notwendig ist hier eine unabhängige Prüfung für eine Typgenehmigung oder eine Einzelbetriebserlaubnis. Einer der Prüfpunkte dabei ist nicht umsonst die Bremsanlage.“

Überlastete Bremsanlagen verlieren ihre Wirkung

Auffallend oft stellt der Sachverständige bei manipulierten Pedelecs vollkommen überlastete Bremsanlagen fest, vor allem an den Hinterrädern. „Natürlich kann eine normale Pedelec-Scheibenbremse aus 40 km/h an der Ampel abbremsen. Sie kann es auch mal bei 60 km/h. Was sie aber nicht kann, ist dauerhaft aus solchen Geschwindigkeiten abzubremsen“, erklärt er. „Das ist reine Physik.“

Beim Bremsen wird die Geschwindigkeit abgebaut, indem kinetische Energie in Wärme umgewandelt wird. Dabei können schon vermeintlich kleine Veränderungen einen großen Unterschied ausmachen. Denn die Bewegungsenergie verändert sich bei steigendem Tempo nicht linear, sondern die Geschwindigkeit fließt als Quadrat in die Gleichung ein. Das bedeutet in einer Beispielrechnung: Im Vergleich zu 25 km/h muss beim Bremsen schon aus 36 km/h die doppelte kinetische Energie in Wärme umgewandelt werden.

Wenn aber ständig Wärmeenergie ins System kommt, für die die Bremsanlage nicht ausgelegt ist, hat das konkrete Folgen: „Ein einmal überhitztes Bremssystem ist nachhaltig geschädigt. Zunächst lässt die Bremswirkung schleichend nach, was für den Fahrer nur schwer erkennbar ist. Bei weiterer Nutzung ohne Reparatur der Bremse ist jedoch schlimmstenfalls der – dann lebensgefährliche – Totalausfall zu erwarten“, so der Unfallsachverständige.

Wissenschaftliches Projekt der DEKRA Unfallforschung

Oftmals verändern sich durch Überhitzung die Materialeigenschaften der Bremsscheiben. Was das bedeutet, zeigt ein aktuelles wissenschaftliches Projekt der DEKRA Unfallforschung. Dabei wurden unter anderem auf dem Pedelec-Prüfstand der Expertenorganisation unterschiedliche Bremsversuche gefahren – mit ungetuntem bzw. getuntem Fahrzeug sowie mit neuen bzw. einmal thermisch überlasteten Bremsscheiben an der Hinterradbremse. Jeweils zehn Normbremsungen hintereinander wurden pro Versuchsreihe durchgeführt. Dabei wurde mit dem Pedelec im Originalzustand eine Geschwindigkeit von 25 km/h gefahren, in der getunten Variante waren es 39 km/h – die durchschnittliche Maximalgeschwindigkeit von mehr als 120 manipulierten Pedelecs, die David Freibott in analytischen Gutachten untersucht hatte.

„Unsere Laborversuche haben gezeigt, dass die Bremswirkung mit den überhitzten Bremsscheiben zwar noch vorhanden, aber erkennbar schlechter und vor allem in der Bremskraftübertragung auch ungleichmäßiger war“, bilanziert der Experte. Zudem zeigte sich bei den Versuchen mit dem getunten Pedelec, dass das System insgesamt deutlich höhere Temperaturen erreichte – angesichts der höheren Geschwindigkeiten nicht überraschend. „Das Ganze wird zum Teufelskreis: Die überlasteten Scheiben können die Wärme nicht mehr so aufnehmen und vor allem nicht mehr so schnell an die Umgebung abgeben, wie sie sollen. Damit überhitzt das gesamte System immer häufiger, und das hat eben früher oder später katastrophale Folgen.“

Die veränderten Materialeigenschaften der thermisch überlasteten Bremsscheiben wurden auch durch eine metallurgische Analyse bestätigt. Diese Materialveränderung könnte die Bildung von Rissen begünstigen.

Auch Rahmen und Anbauteile können überlastet werden

Doch nicht nur die Bremsanlage eines Pedelecs wird nach Tuning in der Regel zu stark beansprucht. Auch Rahmen und Anbauteile sind konstruktiv für bestimmte Belastungen ausgelegt. Beim manipulierten Pedelec wird die Maximalkraft vom Motor länger ausgeübt, der Rahmen stärker belastet; höhere Geschwindigkeiten über Bodenunebenheiten bedeuten mehr Vibration. „All das kann am Ende zu einem Ermüdungsbruch führen, etwa am Rahmen im Bereich der Kettenstrebe, am Lenker oder an der Sattelstütze. Welche Folgen das während der Fahrt haben kann, braucht man nicht auszuführen“, so der DEKRA Experte.

Wie häufig solche Manipulationen sind, ist schwer zu sagen. Eines der großen deutschsprachigen Online-Pedelec-Foren spricht nach einer Befragung der eigenen Nutzer von einem Anteil zwischen 10 und 15 Prozent. „Ob das hinkommt, ist kaum einzuschätzen“, so Freibott. „Sicher ist die Nutzerschaft des Forums nicht unbedingt repräsentativ für alle Besitzer von Pedelecs. Viele ältere Menschen, die kaum im Online-Forum unterwegs sind, stehen vermutlich eher nicht im Verdacht, Tuner zu sein. Andererseits hatte ich auch schon einen Fall, in dem ein 82-Jähriger mit einem manipulierten Fahrzeug unterwegs war.“

Insgesamt nimmt das Tuning aber wohl an Bedeutung zu, berichtet David Freibott aus seiner täglichen Arbeit. 2018 hatte er den allerersten Untersuchungsauftrag von der Polizei, in dem es um Pedelec-Manipulation ging; seitdem hat er sich intensiv in das Thema eingearbeitet. Im ersten Jahr hatte er insgesamt etwa zehn Fälle zu bearbeiten; heute sind es pro Jahr eher 50.

Gerade weil es bei Fahrrädern keine regelmäßige verpflichtende Prüfung der technischen Sicherheit gibt, appelliert der DEKRA Sachverständige an alle Nutzerinnen und Nutzer, ihre Fahrzeuge nur so benutzen, wie es die Hersteller vorgesehen haben. „Alles andere wird allzu leicht zum Lotteriespiel mit der eigenen Sicherheit.“

Quelle/Foto: DEKRA

 


Veröffentlicht am: 12.05.2024

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