Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel (LEH) kann mehr für Nachhaltigkeit tun. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA), die hinterfragt
„Wie nachhaltig sind die deutschen Supermärkte?“ Darin werden zum zweiten Mal nach 2022 die Nachhaltigkeitsaktivitäten der Branche hierzulande untersucht. Fazit: Der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland engagiert sich zwar schon in diesem Bereich, doch die Unternehmen könnten ihren Einfluss und Handlungsspielraum noch stärker nutzen, um das Ernährungssystem in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken.
Beim Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) stößt die aktuelle UBA-Studie derweil auf Kritik. Die Behörde nehme die Wertschöpfungskette im Hinblick auf Marktmacht und Einflussmöglichkeiten des Einzelhandels teils falsch wahr, bemängelt BVLH-Geschäftsführer Philipp Hennerkes gegenüber Table.Briefings. Der Handel sei weder Gatekeeper noch könne und wolle er beliebig auf die Produzenten einwirken, stellt Hennerkes fest.
Die Studie fokussiert insbesondere auf die acht umsatzstärksten Unternehmen, die den deutschen Markt nach Einschätzung des Bundesernährungsministeriums (BMEL) gemeinsam mit einem Marktanteil von über 75 Prozent dominieren: Aldi Nord, Aldi Süd, Edeka, Netto Markendiscount (MD), Lidl, Kaufland, Rewe und Penny. Ziel dieser Untersuchung im Auftrag des UBA ist es, die Nachhaltigkeitsperformance der acht LEH-Schwergewichte in Deutschland systematisch zu bewerten. Dafür wurden die Nachhaltigkeitsbereiche „Umwelt“, „soziale Verantwortung“ und „Tierwohl“ betrachtet. Insgesamt habe Nachhaltigkeit im Supermarkt viele Facetten, erklärt das Umweltbundesamt – angefangen von einer ressourcenschonenden Erzeugung der Lebensmittel über umweltfreundliche Verpackungen bis hin zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen.
Für mehr Nachhaltigkeit im Ernährungssystem sei es sinnvoll und logisch, bei dem Schlüsselakteur der Wertschöpfungskette – dem Lebensmitteleinzelhandel – anzusetzen, betont UBA-Präsident Dirk Messner. Denn der Handel übe großen Einfluss auf die Landwirtschaft und auf das Einkaufsverhalten der Bevölkerung aus. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorangehen eines Unternehmens von anderen nachgeahmt wird, ist durch den wachsenden öffentlichen Druck und die Wettbewerbssituation untereinander relativ groß“, meint Messner. Insofern komme dem LEH mit seinem bedeutenden Einfluss auf die gesamte Wertschöpfungskette sowie den Konsum eine tragende Rolle als Gatekeeper an zentralen Stellschrauben des Ernährungssystems zu, vermerken die Verfasser der Studie – im Gegensatz zum BVLH.
Die Autoren beurteilten mithilfe eines Bewertungsrasters aus 23 Handlungsfeldern, 90 Indikatoren und 103 Subindikatoren die Nachhaltigkeitsperformance der betrachteten LEH-Unternehmen für das Jahr 2023. Eingeschlossen wurden dabei alle Produkte des Food-Eigenmarken-Sortiments der betreffenden Unternehmen. Bereits 2022 war im Auftrag des UBA ein Bewertungssystem entwickelt worden, um die Aktivitäten der acht Marktführer in Deutschland im Umwelt- und Klimaschutz systematisch erfassen, bewerten und einordnen zu können.
Laut der aktuellen Studie zeigen sowohl die seitdem getroffenen politischen Maßnahmen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und der „Pakt gegen Lebensmittelverschwendung“ als auch die Selbstverpflichtungen der Unternehmen deutliche Wirkung. So kündigten einzelne von ihnen inzwischen an, künftig ganz auf Lebensmittel verzichten zu wollen, die per Flugzeug importiert werden. Diese sogenannte „Flugware“ mache zwar nur einen geringen Teil des Produktsortiments aus, stehe jedoch für 170-mal mehr Treibhausgase als ein Transport per Schiff, erläutert das UBA. Für die aktuelle Studie wurde das bestehende Bewertungsinstrument noch um soziale Aspekte (Arbeits- und Menschenrechte in der Lieferkette) sowie das Kriterium Tierwohl erweitert.
Im Vergleich mit den Ergebnissen des vorherigen Berichts aus dem Jahr 2022 haben sich viele Unternehmen in den meisten Handlungsfeldern verbessert, so die aktuelle UBA-Studie, insbesondere im Nachhaltigkeitsmanagement. Die Lebensmittelanbieter haben demnach Defizite systematisch untersucht, sich messbarere und ambitioniertere Ziele gesetzt und auch besser überprüft, ob die gesteckten Ziele erreicht wurden. Im Gegensatz dazu offenbarten sich bei den Handlungsfeldern, die sich unmittelbar auf die Beschaffung der Rohstoffe und Produkte beziehen, die größten Defizite, wie das UBA berichtet. Unterm Strich zeigen die Ergebnisse der Untersuchung, dass die Performance der Unternehmen im Bereich Umwelt besser ausfällt als in den beiden neuen Bereichen (Arbeits- und Menschenrechte in der Lieferkette) und Tierwohl.
Um sowohl ihrer gesellschaftlichen Verantwortung aufgrund ihrer Positionierung als Gatekeeper im gesamten deutschen Ernährungssystem als auch ihren selbstdefinierten Ansprüchen bezüglich ihres Beitrags zur Nachhaltigkeit gerecht zu werden, sollten die Unternehmen neben wirtschaftlichen Faktoren auch Nachhaltigkeitsaspekte, insbesondere Umwelt, soziale Verantwortung und Tierwohl, stärker berücksichtigen und ihr Handeln danach ausrichten, fassen die Autoren der Untersuchung zusammen. Nach ihrer Bewertung haben sich die betrachteten Unternehmen des Themas Nachhaltigkeit zwar angenommen, schöpfen allerdings ihre Möglichkeiten, die Transformation des Ernährungssystems aktiv voranzutreiben, noch längst nicht aus. Dies gilt demnach für alle untersuchten Nachhaltigkeitsbereiche, wobei sich jedoch im Detail Unterschiede je nach Handlungsfeld und Unternehmen ergeben.
„Es ist richtig und wichtig, dass der Lebensmitteleinzelhandel nicht nur seine eigenen Treibhausgasemissionen in den Blick nimmt, sondern die der gesamten Wertschöpfungskette“, betont UBA-Präsident Messner. Allerdings müssten die gestiegenen Umwelt- und Klimaanforderungen auch mit entsprechenden finanziellen Kompensationen durch den Einzelhandel begleitet werden, um den Erzeugern ein einträgliches Wirtschaften zu ermöglichen, räumt er ein. Denn ein einfaches ‚Weiterreichen‘ der Anforderungen führe nur zu noch größerem Unmut bei den Bauern.
Die Studie wurde im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) Schweiz und Deutschland, mit Unterstützung durch die Universität Gießen und die Technische Hochschule Nürnberg durchgeführt. Nach Auskunft des UBA wurden die Daten des LEH aus öffentlich verfügbaren Quellen sowie für unternehmensinterne Informationen durch einen individualisierten Fragebogen eingeholt und bewertet.
Quelle: GOSLAR INSTITUT
Nachhaltigkeit im Supermarkt
... verbessert, aber noch Luft nach oben
Veröffentlicht am: 07.04.2025
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