Jedes Kunstwerk im Museum erzählt eine Geschichte. Meist sind es die Geschichten der Motive oder der künstlerischen Aussagen, die in Ausstellungen präsentiert werden. Tatsächlich aber hat jedes Werk bereits einen Weg zurückgelegt, durch den es überhaupt in die Sammlung des Museums gelangt ist.
Den verschlungenen Wegen, auf denen einige der Highlights französischer Zeichenkunst in die Kunsthalle Bremen kamen, gilt es in der Ausstellung „Corot bis Watteau? Französischen Zeichnungen auf der Spur“ zu folgen. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Objektbiographien von 38 ausgewählten Zeichnungen und zwei Skizzenbüchern französischer Künstler*innen. Diese wurden im Zuge eines langjährigen Provenienzforschungsprojekts untersucht. Kritisch beleuchtet werden dabei insbesondere diejenigen Zeichnungen, die durch verfolgungsbedingten Entzug – beispielweise aus jüdischem Besitz – während und kurz nach der NS-Zeit in die Kunsthalle gelangten.
Unter den ausgestellten Werken finden sich zahlreiche noch nie präsentierte Meisterzeichnungen von Künstlern des 16. bis 19. Jahrhunderts wie Michel Corneille, Camille Corot, Antoine Coypel, Jacques-Louis David, Eugène Delacroix, Pierre-Antoine Demachy, Alexandre-Évariste Fragonard, Jean-Baptiste Greuze, Jean-Baptiste Huet, Charles Joseph Natoire, Charles Parrocel, François Perrier, Marie-Ernestine Serret und François Verdier. Zeitlich bilden die Werke in der Ausstellung einen Überblick über die Zeichenkunst in Frankreich zwischen dem frühen 16. und dem späten 19. Jahrhundert ab.
Jede Zeichnung in der Ausstellung erzählt eine ganz eigene Geschichte. Überprüft wurden vor allem die Provenienzen der Werke, die während oder kurz nach der NS-Zeit erworben wurden, wodurch verfolgungsbedingt entzogene Werke ermittelt werden sollen, die möglicherweise an Erben restituiert werden können. Das seit Juni 2022 laufende Forschungsprojekt unter der Federführung der Provenienzforscherin Dr. Brigitte Reuter versucht verlorenes Wissen zutage zu fördern. Die vertiefte Überprüfung und die Klärung bzw. Feststellung, ob diese Werke im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen wurden, betrifft 81 französische Zeichnungen, die zwischen 1933 und 1945 mit Sondermitteln des NS-Staates für das Kupferstichkabinett erworben wurden. Des Weiteren wurden der völlig unbekannte Vorbesitz und die Provenienz in der NS-Zeit von acht Skizzenbüchern und 279 französischen Zeichnungen aus dem Erwerbungszeitraum 1945 bis 1984 systematisch überprüft.
Neben dem Kunsthändler Arnold Blome werden weitere Sammlerpersönlichkeiten, die mit der Kunsthalle in Zusammenhang stehen und deren Sammlertätigkeit bis heute kaum bekannt geschweige denn erforscht ist, erstmals beleuchtet. Außer Bremer Privatsammlern wie Heinrich Beckmann finden sich auch kuriose Vorbesitzverhältnisse, die hier bewusst der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. So wurde im Zuge des Projekts eine Zeichnung eines anonym gebliebenen französischen Künstlers in der Sammlung entdeckt, die von einem ehemaligen Hausmeister, August Jatho, der Kunsthalle geschenkt wurde. Jatho wurde vom damaligen Direktor Emil Waldmann bereits als das „schwarze Schaf“ des Museums bezeichnet. Hierbei handelt es sich möglicherweise um Diebesgut.
Katalog und Zuschreibungen
Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Neben der Erforschung der Provenienzen ist für die 38 ausgestellten Zeichnungen und zwei Skizzenbücher nun auch im Zuge dieser Publikation erstmals eine kunsthistorische Auseinandersetzung erfolgt. Dabei konnte eine Vielzahl der Werke, die vorher nicht im Fokus der Forschung standen, neu zugeschrieben werden. Zuschreibung meint die Ermittlung des Künstlers oder der Künstlerin einer Zeichnung. Hierbei wurde eine Vielzahl neuer Entdeckungen gemacht. Einige der vormals als „anonym“ geführten Blätter erhielten nun erstmals eine Zuschreibung, darunter auch ein Werk der Künstlerin Marie Ernestine Serret, deren Zeichnung der „Naschenden Kinder“ ein Gemälde vorbereitet, das die Künstlerin 1841 beim Salon in Paris präsentierte. Viele weitere solcher Funde werden im Katalog zur Ausstellung ausführlich vorgestellt.
(136 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-935127-59-2).
Das Provenienzforschungsprojekt wurde finanziert mit Unterstützung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Bremer Landesbank Stiftung, Tavolozza Foundation und die Nicolaus Heinrich Schilling Stiftung
Kunsthalle Bremen
Am Wall 207
28195 Bremen
www.kunsthalle-bremen.de
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Bild: Marie-Ernestine Serret, Naschende Kinder, um 1840, Schwarze Kreide, weiß gehöht, auf gelblichem Papier, 44,7 x 36 cm, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen
COROT BIS WATTEAU? FRANZÖSISCHEN ZEICHNUNGEN AUF DER SPUR
... in der Kunsthalle Bremen
Veröffentlicht am: 29.04.2025
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