
Wer mit dem Auto durch Ostfrankreich in Richtung Burgund, Rhône oder Côte d’Azur rollt, hat es oft eilig. Doch kaum 60 Kilometer hinter Mülhausen, fast unauffällig an der Strecke, liegt ein Ort direkt an der Autobahn A36, der eine kleine Entdeckung wert ist: Audincourt.
Mit seinen rund 14.000 Einwohnern wirkt das Städtchen auf den ersten Blick wie eine typische Gemeinde des industriell geprägten Départements Doubs. Doch wer sich die Zeit nimmt, den Abzweig zu nehmen, stößt hier auf ein unerwartetes Ensemble aus moderner Spiritualität, avantgardistischer Architektur und zeitgenössischer Kunst.
Audincourt ist ein Ort voller Kontraste und voller Geheimtipps. Zwischen Wohnvierteln und Werkhallen verbergen sich drei besondere Stationen, die eindrucksvoll zeigen, dass Kunst und Glaube, Industrie und Ästhetik sich nicht ausschließen müssen: die Kirche Sacré-Cœur ist ein Beweis dafür.
Farbenrausch des Glaubens – die Kirche Sacré-Cœur
Die 1951 eingeweihte Kirche Sacré-Cœur ist ein Manifest der Nachkriegsmoderne. Außen schlicht, fast streng, offenbart sie im Inneren eine faszinierende Explosion aus Licht und Farbe. Die wahren Stars sind die 17 monumentalen Kirchenfenster von Fernand Léger, die sich auf einer Gesamtlänge von rund 70 Metern entlang des Kirchenschiffs ziehen.
Léger, der überzeugte Atheist, fand in diesem Auftrag eine Bühne für seine Bildsprache – dynamisch, kräftig, von geometrischer Strenge und zugleich von einer fast kindlichen Freude durchdrungen. Seine Fenster thematisieren die Instrumente der Passion: Kreuz, Dornenkrone, Nägel – doch statt düsterer Symbolik überstrahlen leuchtende Farben und rhythmische Formen alles. Wenn die Sonne durch das Glas bricht, verwandelt sich der Raum in ein kaleidoskopisches Schauspiel, das selbst Skeptiker staunen lässt.
Ein weiterer Höhepunkt ist der Taufbereich, gestaltet vom Künstler Jean Bazaine. Auch hier zeigt sich der Geist der Moderne : Das Sakrale wird nicht ins Monumentale erhoben, sondern in Farbe, Licht und Material neu erfahrbar gemacht. Sacré-Cœur ist weniger ein Ort der Kontemplation als einer der künstlerischen Offenbarung, ein seltenes Beispiel dafür, wie Architektur und Kunst sich zu einer spirituellen Einheit verschmelzen. Besichtigungstipp: Sollte die Kirche geschlossen sein, findet sich an der Tür eine Telefonnummer einer Nachbarin, die gerne öffnet .
Kunst im Schloss – die Donation Patt im Château Peugeot
Ein paar Schritte weiter, im grünen Herzen des Parc Japy, erhebt sich das Château Peugeot, ein Schmuckstück aus dem 19. Jahrhundert. Errichtet zwischen 1880 und 1882 für Benjamin Peugeot, damaliger Leiter der Fabrik Sous-Roches, ist das Herrenhaus ein Zeugnis jener Zeit, als Industriebarone sich in Architektur verewigten. Lange diente das Schloss der Unternehmerfamilie als Wohnsitz, ehe es 1989 in den Besitz der Stadt überging.
Seit 1998 ist das Gebäude der Kunst gewidmet – heute unter dem Namen Donation Patt, benannt nach dem Sammlerpaar Andrée und Gérard Patt, die Audincourt ihre bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst schenkten. Die Stadt ließ das Schloss sorgfältig restaurieren und in einen lichtdurchfluteten Kunstraum verwandeln, der historische Substanz und moderne Klarheit vereint.
Auf zwei Etagen und in zwölf Ausstellungssälen zeigt die Donation Patt fast 150 Werke – Malerei, Skulptur, Grafik. Die Bandbreite ist groß: von internationalen Größen wie Salvador Dalí, Lucio Fontana und Robert Combas bis zu regionalen Künstlern und jungen Talenten. Der Rundgang gleicht einer Reise durch die Vielfalt der modernen Kunst, zwischen Ironie, Farbe und Form.
Das Château, einst Symbol des industriellen Bürgertums, ist damit zu einem Ort der Offenheit geworden – ein kulturelles Zentrum, das Kunst für alle zugänglich macht und Audincourt einen neuen Glanz verleiht.
Beton und Himmel – die Kirche Immaculée Conception
Nur wenige Straßen weiter steht die zweite große Kirchen-Ikone Audincourts: die Église de l’Immaculée Conception, entworfen 1932 von Dom Paul Bellot, einem Pionier der modernen Sakralarchitektur. Das Innere der Kirche ist sehr sehenswert, doch da sie nicht immer geöffnet ist, muss man allerdings viel Glück haben um sie betreten zu können - am besten bei einer Messe. Bellot, ein Benediktinermönch mit einer Leidenschaft für Geometrie und Material, schuf hier eine der ersten Betonkirchen Frankreichs, zu einer Zeit, als das neue Material in der Architektur noch provozierte. Sein Stil, eine Mischung aus Strenge und rhythmischer Ornamentik, verbindet das Handwerkliche mit dem Mystischen.
Office de Tourisme du Pays de Montbéliard
1 rue Henri Mouhot
F-25200 Montbéliard
Tel.: +33 (0)3 81 94 45 60
www.paysdemontbeliard-tourisme.com
Foto: Jörg HARTWIG
Audincourt – spirituelle Moderne und Kunst unweit der Autobahn
Nicht einfach links liegen lassen
Veröffentlicht am: 16.11.2025
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