Vor 125 Jahren hatten zwei Brüder eine Idee, die bis heute nachwirkt. Im April 1900, Paris stand ganz im Zeichen der Weltausstellung (die schon fünfte in der französischen Hauptstadt), überraschten Édouard und André Michelin die Automobilisten der ersten Stunde mit dem ersten roten Guide Michelin.
Dieser erste Reiseführer wurde gratis an die Chauffeure verteilt und durfte, so die Anweisung auf dem Rücken des Einbands nicht verkauft werden. Die Idee war ebenso weitsichtig wie ambitioniert, denn damals, das Automobil war gerade 14 Jahre alt und nicht wenige Zeitgenossen versprachen dem Pferd eine große Zukunft, rollten überschaubare 2400 motorisierte Fahrzeuge auf den französischen Straßen.
Die Michelin-Brüder ließen 35.000 Exemplare drucken, denn neben den Automobilisten waren auch Motorrad- und Radfahrer als Zielgruppe von der Touristikabteilung des Reifenherstellers aus Clermont-Ferrand ins Visier genommen worden. Die erste Ausgabe unterschied sich allerdings deutlich von der „Gourmet-Bibel“, die heute von vielen Zeitgenossen als Begleiter für ihre Reisen genommen wird. „Dieses Werk hat sich zum Ziel gesetzt, alle Informationen bereitzustellen, die einem in Frankreich reisenden Chauffeur nützlich sind, um sein Automobil zu versorgen und reparieren zu lassen und eine Unterkunft zu finden“, heißt es im Vorwort von 1900.
Sterne wurden damals noch nicht vergeben – die folgten erst 1926. Stattdessen wurden die empfohlenen Hotels nach den Übernachtungskosten klassifiziert: Die höchste Kategorie betraf Häuser, die mehr als 13 Francs (einschließlich Wein) für die Übernachtung verlangten, und die Abkürzung v.n.c. hinter dem Hotelnamen wies darauf hin, dass der Wein gesondert bezahlt werden musste.
Auch die Werkstätten wurden nach ihren Leistungen eingeteilt. Die höchste Wertung (eine Zange und zwei Zahnräder) erhielten Werkstätten, denen der Touring Club de France (TCF) bescheinigte, dass sie „ausgerüstet waren, um alle Reparaturen ausführen zu können“. Die Mitglieder des TCF erhielten zudem einen Nachlass von zehn Prozent. Außerdem waren alle Tankstellen in den Städten aufgeführt, und das konnte schon mal die Drogerie vor Ort sein. Um die Informationen für die kommenden Jahre zu sichern, wurden die Chauffeure aufgefordert, weitere Informationen an Michelin zu schicken. Als Belohnung gab es dann die zweite Ausgabe des Guide Michelin kostenlos. „Ohne sie können wir nichts, mit ihnen können wir alles“, heißt es im Vorwort. Bald wurde der Guide zudem international. 1904 folgte die belgische, 1910 erschien die erste deutsche Ausgabe für die Schweiz und Deutschland.
Neben den Tipps für die Reise war der erste Guide auch eine vollständige Gebrauchsanleitung für den Umgang mit dem damals noch neuen Gefährt einschließlich einer genauen Darstellung der steuerlichen Belastung der Automobillisten. Danach wurden in Paris 60 Francs für Zweisitzer und 110 Francs für Fahrzeuge mit mehr als zwei Sitzen pro Jahr fällig. In der Provinz sanken die Belastungen je nach Größe der Stadt auf 25 bis 50 Francs für Zweisitzer und 90 bis 50 Francs für die Viersitzer. Die Angaben für Paris beschränkten sich auf die Zahl der Hersteller, die sich in der Hauptstadt und Umgebung angesiedelt hatten – darunter acht Produzenten von Elektrofahrzeugen und drei Hersteller von Automobilen mit Dampfantrieb. Von den aufgeführten Herstellern ist lediglich Renault noch heute unterwegs. Das Automobil war damals ein Luxusgut, das sich die wenigsten Menschen leisten konnten. Ein Modell der Marke Georges Richard kostete, so die Anzeige, je nach Ausstattung zwischen 3500 und 3800 Francs.
Aus der vor allem technischen Reisehilfe für Chauffeure ist längst der weltweit wichtigste Gourmet-Führer geworden, und die Bekanntgabe der begehrten Sterne ein Ereignis, das an die Oscar-Zeremonie erinnert. In Österreich, wo für den Jahrgang 2025 insgesamt 82 Sterne – darunter zweimal drei Sterne – vergeben wurden, fand die Veranstaltung im Salzburger Hangar 7 des Getränkeherstellers Red Bull statt. Im Gegensatz zu den anderen Führern arbeitet Michelin ausschließlich mit hauptberuflichen so genannten Inspektoren, die eine Kochausbildung absolviert haben müssen.
Mehr ist allerdings über die Tester nicht bekannt. Die genaue Zahl ist geheim, und in Salzburg ließ sich Gwendal Poullenec, internationaler Direktor des Guide Michelin, lediglich entlocken, dass „Inspektoren aus zehn Nationen“, die Küchen in Österreich überprüft haben. Auch wenn die Chefköche auf der Bühne im Scheinwerferlicht stehen, die Auszeichnungen werden an die Küche vergeben. Kein Koch kann also „seinen Stern“ mitnehmen, wenn er seine Stellung wechselt. Neben den Sternen für überragende Leistungen in der Küche vergibt Michelin inzwischen auch so genannte grüne Sterne für nachhaltiges Verhalten der Köche. In Österreich dürfen sich jetzt 33 Restaurant einen grünen Stern in die Vitrine stellen. (aum)
Fotos: Autoren-Union Mobilität
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Veröffentlicht am: 26.01.2025
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